Juste Milieu (Schlagwort)#

Metadaten#

Autor
  1. Gert Vonhoff
Fassung
1.0
Letzte Bearbeitung
09.09.2001

Text#

Juste Milieu#

(franz.), die rechte Mitte, das Beibehalten eines Mittelmaßes. Nach der französischen Juli-Revolution von 1830 wurde der Begriff zum Schlagwort in der politischen Auseinandersetzung; er charakterisierte die Regierung Louis Philippes.

Allgemeines #

Juste milieu bezeichnet "das oft verspottete politische System, welches Ludwig Philipp, der König der Franzosen, bald nach seiner Thronbesteigung mit großer Klugheit annahm und durchführte, um sich in seiner Herrschaft zu befestigen und Frankreich den Frieden zu erhalten, sodaß sich Handel und Gewerbe heben konnten und auf diese Weise die Interessen des begüterten Mittelstandes mit denen des Königs sich vereinbarten. Die Regierung wies mit diesem Systeme die Anfoderungen zu allzu schnellen, nicht gehörig vorbereiteten oder nur scheinbar verbessernden Neuerungen zurück, sowie die Ansprüche der Parteien, welche, dem Beispiele Frankreichs folgend, auch in andern Ländern Unruhen wirklich erregten oder doch zu erregen vorhatten und dazu Schutz und Beistand Frankreichs in Anspruch nahmen. Es ist gewiß, daß nur durch diese kluge Politik Ludwig Philipp die Anerkennung der übrigen Regierungen sich verschafft und in dem eignen Lande die mächtige Partei Derjenigen auf seine Seite gezogen hat, welche Sicherheit des Besitzes vor allem Andern wünscht; wenn auch nicht abgeleugnet werden kann, daß, um dieses System aufrecht zu halten, nicht allein die Hoffnungen Vieler, die zur Aufrichtung des Bürgerkönigthums in Frankreich beigetragen hatten, getäuscht wurden, sondern auch die Politik der franz. Regierung mit ihm den Charakter kraftloser Unentschiedenheit und treuloser Unzuverlässigkeit vielfach angenommen hat. Man hat gegen das Juste milieu geltend gemacht, daß das Rechte und Wahre stets nur Eins sei und daß dieses mit aller Macht und selbst mit Aufopferung mancher äußerlichen Vortheile zu verfolgen, die Ehre der Nation und der dieselbe vertretenden Regierung erfodere." (Bilder-Conversations-Lex., Bd. 2, S. 521-522)

Gegen die Versuche, das Juste milieu zur politischen Leitkategorie zu erheben, "bemerkte Lafayette in der Sitzung der Deputirtenkammer vom 20. Febr. 1831, daß die Worte: richtige Mitte und Mäßigung eigentlich gar keinen bestimmten Sinn gäben. 'Darauf kommt es gar nicht an, zwischen zwei veränderlichen (oder bestrittenen) Punkten das Mittel zu erwählen. Wenn der Eine sagt, 2 Mal 4 ist 8; ein überspannter Kopf aber behauptet, 2 Mal 4 sei 10, wird man denn glauben, in der Mitte das Rechte zu treffen, indem man annehme, es sei 9? Die rechte Mäßigung besteht darin, nur auf Das zu sehen, was an sich wahr und gerecht ist, und daran unerschütterlich festzuhalten.' Im Allgemeinen ist diese Bemerkung Lafayette's" - so stellt das "Conversations-Lexikon der neuesten Zeit und Literatur" 1833 fest - "vollkommen gegründet, und es ist ein durchaus unzulässiger Grundsatz, dadurch das Rechte finden zu wollen, daß man zwischen zwei äußersten Punkten die Mitte sucht." Interessant ist nun, wie die Kritik am Juste milieu dann im weiteren Verlauf der Argumentation zur Kritik an der Halbheit wird: "eine Verbindung widerstreitender Principien wird zur Halbheit. Gleichwohl ist es der gewöhnliche Fehler unklarer und unentschiedener Menschen, sich nicht einer Ansicht völlig anzuvertrauen, sondern, um nicht ganz irre zu gehen, immer das Halbe und Unzulängliche zu ergreifen, welches stets zu gleicher Zeit zu viel und zu wenig ist." (Conv.-Lex. d. neuesten Zeit, Bd. 2, S. 617-618)

Deutsche Einschätzungen in den dreißiger Jahren#

Für die Autoren des Jungen Deutschland wurde der Begriff in den dreißiger Jahren zu einem Schlagwort. Wie Heine und später auch die Autoren des Vormärz standen sie dem Juste milieu zumeist ablehnend gegenüber.

Gutzkow und der Begriff des Juste milieu#

In seinem Artikel über Rothschild in den Beilagen zur "Augsburger Allgemeinen Zeitung" vom 23.-25. Mai 1835 bestimmt Gutzkow den Begriff in der übertragenen Bedeutung: Die Börsenmänner gehören alle zum Juste-Milieu, zu einem Glaubensbekenntniß, das es mit Niemanden verderben will, und das überall unterliegen muß, wo es Doktrin ist, und mit positiven Zweken umgeht, da aber die Oberhand behält, wo es nur eine Maaßregel der Schlauheit und klugen Berechnung eines Einzelnen ist. (HU1, 59.)

Der Begriff der Halbheit taucht in Gutzkows Werk immer wieder auf, wird im Laufe der Zeit geradewegs zu einem Motiv (siehe etwa das Kapitel Die Ganzen und die Halben im Nachmärzroman Die Ritter vom Geiste; RvGI, Bd 3, Kap. 10).

Quellen

Forschungsliteratur

Zitat- und Belegstellen #

Die Sterbecassirer: NoWWW, Erläuterung zu 74,28-29.

Rückblicke auf mein Leben (Zeitschriftendruck): RueVWWW, S. 6,25.

(Gert Vonhoff, Exeter)