Wir stellen die Gutzkow Gesamtausgabe zur Zeit auf neue technische Beine. Es kann an einzelnen Stellen noch zu kleinen Problemen kommen.

Frauenfrage#

Metadaten#

Autor
  1. Martina Lauster
Fassung
1.0
Letzte Bearbeitung
01.2007

Text#

Frauenfrage#

im neunzehnten Jahrhundert gebrauchter Begriff für das ungelöste Problem der politischen, sozialen und kulturellen Gleichstellung von Frauen und Männern. Zum Politikum wurde die "Frauenfrage" durch die "Frauenbewegung", d. h. eine organisierte oder sich als Zusammenhang begreifende Aktivität von Frauen aus dem bemittelten Bürgertum.

Die Frauenbewegung, die in Deutschland in den 1840er Jahren ihren Ausgang nahm, hatte neben der Erlangung politischer Rechte das "Recht auf Arbeit" zum Ziel. Weibliche Selbstverwirklichung im weitesten Sinn war Gegenstand des Schreibens von Frauen seit der Aufklärung, aber erst im Vormärz wurde das Thema publizistisch wirksam, wobei sich in der Schriftstellerei selbst ein zunehmend anerkanntes Berufsfeld für Frauen abzeichnete. Für die philosophisch-ästhetische Dimension der "Frauenfrage" blieb in Deutschland das Modell der klassisch-romantischen Epoche bis mindestens in den Vormärz maßgeblich, sei es in der Form des 'weiblichen Bildungsromans', sei es in der Rezeption von Romantikerinnen wie Rahel Varnhagen oder Bettine von Arnim bzw. der romantischen Gesprächskultur und des 'weiblichen Witzes'.

Gutzkow blieb bei der Darstellung weiblicher Hauptfiguren dem klassisch-romantischen Modell stark verpflichtet und machte seine Protagonistinnen direkt oder indirekt zu Trägerinnen seines zukunftsorientierten, 'idealistischen' Realismus. Die praktischen Errungenschaften der Frauenemanzipation vom Schriftstellerberuf bis zum Vereinswesen, vom eher experimentellen Auftritt in Männerkleidung bis zum Rauchen (Lexikon: Zigarre) registrierte und kommentierte er aufmerksam, wenn auch nicht frei von Vorbehalten oder Klischees.

Allgemeines#

Lexikalisches Wissen zur „Frauenfrage“ um 1900#

Die folgenden Ausführungen, zitiert aus Meyer, Bd. 7, S. 38-40, verdeutlichen in ihrer Breite die Relevanz der "Frauenfrage" um die Wende zum 20. Jahrhundert und dokumentieren in ihrer Wertung zugleich den zeittypisch begrenzten Horizont: Den Frauen wird trotz aller Reformen letztlich der familiäre Privatbereich als Betätigungsfeld zugewiesen.

"In der F[rauenfrage] offenbart sich das Bewußtsein von dem Vorhandensein eines Widerspruchs zwischen den Ansprüchen, welche die Frauen an die Gesellschaftsordnung zu stellen wirklich oder vermeintlich berechtigt sind, und der Stellung, die ihnen tatsächlich zugewiesen ist. Sie berührt alle Seiten der weiblichen Existenz, die rechtliche, wirtschaftliche, sittliche und politische. Mit der Frage zugleich entstand die Frauenbewegung als die Gesamtheit aller jener Bestrebungen, die auf die Beseitigung jenes Widerspruchs durch eine Neuregelung der Beziehungen des Weibes zur übrigen Gesellschaft gerichtet sind. Die Frauenbewegung begann mit dem Ausbruch der französischen Revolution zu Ende des 18. Jahrh. Nicht Geringeres erstrebte sie damals als die unvermittelte Herbeiführung einer völligen Gleichberechtigung beider Geschlechter im öffentlichen und privaten Leben. Der 'Erklärung der Menschenrechte' folgte mit innerer Konsequenz die von Olympia de Gouges formulierte 'Erklärung der Frauenrechte'. Die Hauptforderungen lauteten auf aktives und passives Wahlrecht sowie Zulassung zu allen Ämtern. Die Frauen erschienen in den bestehenden Klubs und beteiligten sich an den Debatten, sie gründeten besondere Frauenklubs und verfochten ihre Sache in eignen Journalen. Als jedoch schließlich an die Geschlechtsgenossinnen die öffentliche Aufforderung der Führerinnen erging, männliche Kleidung anzulegen, um auch jede äußerliche Unterscheidung der Geschlechter zu beseitigen, entzog der Konvent den Frauen das Versammlungsrecht und schloß ihre Klubs. Damit hatte die Bewegung vorläufig ihr Ende erreicht. Aufs neue tauchte sie zur Zeit der Julirevolution (1830) auf. Seit dieser Zeit wurde die Bezeichnung Frauenemanzipation üblich. Realere Gestalt gewann sie mit ihrem erneuten Auftreten zur Zeit der Februarrevolution (1848). Von nun ab verbreitete sie sich auch nach andern Ländern, gestaltete sich aber nach Umfang und Charakter bei den einzelnen Völkern verschieden. In Europa ist England dasjenige Land, in dem nicht nur die Emanzipationsbestrebungen bisher den nachhaltigsten Erfolg erzielten, sondern wo auch zuerst die Lösung der F[rauenfrage] mehr in praktischer Richtung auf dem Gebiete des Erwerbslebens versucht wurde. 1860 wurde dort von Lord Shaftesbury der Londoner Frauenerwerbsverein gegründet, dem bald weitere folgten. Von diesen Vereinen wurden Handels- und Gewerbeschulen, Arbeitsnachweisungsbureaus und andre Einrichtungen zur Verbesserung des Frauenloses geschaffen. Ein Teil der Bestrebungen galt der Beseitigung der ungünstigen Lage, in der sich die Frauen Englands im Widerspruch zu ihrem sonstigen gesellschaftlichen Ansehen hinsichtlich des bürgerlichen Rechtsverkehrs befinden. Eine wesentliche Verbesserung schuf erst das Ehefrauen-Eigentumsgesetz von 1882. Nicht ohne Erfolg ist man bemüht gewesen, den Frauen einzelne Staats- und Ehrenämter, insbes. das aktive Wahlrecht, zugänglich zu machen. Für die Munizipalwahlen wurde es den selbständigen steuerzahlenden Frauen (nicht den Ehefrauen) bereits 1869, für die Grafschaftswahlen den unverheirateten Mieterinnen oder Besitzerinnen eines Hauses 1888 erteilt. Dagegen blieb das Verlangen nach Erteilung des Stimmrechts für die Parlamentswahlen bisher ohne Erfolg. In Deutschland hat es an einer politischen Frauenbewegung bisher fast gänzlich gefehlt, man beschränkte sich hier auf die Verfolgung unmittelbar praktischer Ziele. Seit den 1860er Jahren wurde in Versammlungen und Vereinen eine rege Tätigkeit, vor allem von den Frauen selbst, entfaltet, und wie in England gibt eine Reihe neugeschaffener Institute für Bildung und Erwerb sowie die angebahnte Reform der Mädchenerziehung in den Schulen Zeugnis von der Wirksamkeit der Bemühungen. [...]

In mancher Beziehung anders als in Europa liegen die Verhältnisse in Nordamerika. Hier war die Lage der Frau infolge des Umstandes, daß die weibliche Bevölkerung früher allgemein in der Minderzahl gegenüber der männlichen war und auch heute noch in weiten Gegenden ist, von jeher eine begünstigte. In Verbindung mit den rationalistisch-demokratischen Anschauungen und Lebensformen und im Zusammenhang mit dem allgemein verbreiteten Wohlstande des Landes genießen die ledigen wie die verehelichten Frauen von jeher eine freiere und selbständigere Stellung als bei den Völkern alter Kultur, sind in weitem Umfang von der Last der niedrigen Tagesarbeit befreit, können aber anderseits leichter selbständigen Erwerb in den eigentlichen Berufszweigen finden. [...]

Hervorgegangen aus dem Geiste der modernen Zeit, die jedem Einzelnen das gleiche Recht zuspricht und ihn mit dem Verlangen erfüllt, seine Individualität frei und ungehindert zu entfalten, schöpft die Frauenbewegung ihre nachhaltige Kraft vornehmlich aus ihren wirtschaftlichen Zielen. Im Laufe der Zeit unterlag die Stellung der Frauen in der Volkswirtschaft tiefgreifenden Veränderungen. Im Mittelalter und noch in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit lag beim Vorherrschen der Naturalwirtschaft der Schwerpunkt der Produktion im Familienhaushalt. Hier fand die Frau in der Verarbeitung der Rohprodukte der Landwirtschaft, im Backen, Spinnen, Weben etc. auf dem Lande und größtenteils auch in der Stadt reichliche Beschäftigung. Die ledig Gebliebenen, namentlich der höhern Stände, fanden vielfach Unterkunft in den zahlreichen Klöstern, auch war für sie durch Legate, Stiftungen u. dgl. in reichem Maße gesorgt. Mit der zunehmenden Entwickelung der Arbeitsteilung und der Entstehung der modernen Großindustrie, zumal nach Einführung der Maschinen, lockerte sich nach und nach die ursprüngliche Wirtschaftsverfassung. Die Produktion löste sich, indem sie für den Absatz arbeitete, mehr und mehr von der Hauswirtschaft. Damit ging den Frauen die einst in der Familie gebotene Arbeitsgelegenheit verloren. Teilweise fand sich Ersatz für das Verlorne. Waren die Frauen unter der Herrschaft der Zünfte von der gewerblichen Arbeit in der Regel ausgeschlossen gewesen, so erzeugte die moderne Großindustrie wiederum die Möglichkeit einer umfangreichen Verwendung ungelernter, schwächerer und zugleich billigerer Kräfte. Letztere boten sich außer in den Kindern in den Frauen, deren Erwerbsarbeit, weil ursprünglich nur als Nebenbeschäftigung verrichtet, bei verhältnismäßig starkem Angebot niedriger bewertet wurde und ihren niedrigen Preis kraft der Tradition behielt. Die weiblichen Arbeiter aber, die sich nunmehr in Fabriken oder daheim für die Unternehmer beschäftigen ließen, gehörten ausschließlich den untern Schichten des Volkes an. Ihnen gegenüber erwuchs dem Staate die Aufgabe, eine verderbliche Ausnutzung ihrer Arbeitskraft, die oft genug Gesundheit und Sittlichkeit aufs schlimmste gefährdete, zu verhindern, indem er die von ihnen zu leistende Arbeit nach Maß und Art begrenzte. Diese Aufgabe suchten die industriellen Staaten in der Fabrikgesetzgebung [...] zu lösen.

Anders als bei der Arbeiterbevölkerung gestalteten sich die Verhältnisse in den mittlern Gesellschaftsschichten, namentlich im sogen. gebildeten Mittelstande. Die wachsende Schwierigkeit, die zur Gründung und Erhaltung einer Familie erforderlichen Mittel zu gewinnen, bewirkte eine abnehmende Heiratsfrequenz, deren nachteilige Wirkungen die Töchter vermögensloser Familien um so mehr empfanden, als sie kraft der herrschenden Standesanschauungen sich für die Ehe auf gewisse engere Kreise beschränkt sahen. In den protestantischen Staaten verschlimmerte sich die Lage des weiblichen Geschlechts weiter durch die Aufhebung der Klöster. Zudem verboten die herrschenden Vorurteile den ledigen Frauen, sich durch Anteilnahme am öffentlichen Erwerbsleben selbständigen Unterhalt zu schaffen. So erwuchs in den ledigen Frauen dieser Stände eine ansehnliche Bevölkerungsmasse, die, durch Anschauungen und Erziehung dem Erwerbsleben ferngehalten, sowohl der ökonomischen Selbständigkeit als auch eines befriedigenden Wirkungskreises ermangelte und vielfach dem Elend einer dem Zufall preisgegebenen Existenz verfiel.

Die F[rauenfrage] betrifft danach vorzugsweise die Unverheirateten, da den Verheirateten Unterhalt und Wirkungskreis in der Familie geboten ist. Allerdings wird die soziale Stellung des weiblichen Geschlechts stets in erster Linie durch die Ehe und Familie und die hierdurch erwachsenden besondern Aufgaben bestimmt bleiben müssen, und bei der spezifischen Verschiedenheit der von der Natur den Geschlechtern zugewiesenen Stellung im Geschlechtsleben kann selbst bei noch so weit getriebener formaler Rechtsgleichheit eine tatsächliche Gleichstellung des männlichen und weiblichen Geschlechts niemals zur Verwirklichung gelangen, obschon das Verhältnis der Unterordnung der Frau unter den Mann mehr und mehr einem wirklichen Genossenverhältnis weichen muß. Die sozialen Verhältnisse in den sogen. arbeitenden Klassen leiden gerade an dem Übel, daß die Frauen, vornehmlich die verheirateten, durch zu weit gehende Heranziehung zu der Erwerbsarbeit ihrem spezifischen Pflichtenkreis oft allzusehr entrückt werden. [...] An eine verbesserte allgemeine Schulbildung, die zugleich die Bestimmung hätte, die Mädchen in höherm Maß, als es bisher zu geschehen pflegte, für ihren Beruf in der Familie vorzubereiten, muß sich eine sachliche Fortbildung anschließen, um ihnen den Erwerb überhaupt oder die Erfüllung eines eigentlichen, den weiblichen Fähigkeiten und Kräften angemessenen Berufes zu erleichtern. Hand in Hand mit der Bildungs- und Erziehungsreform muß eine Vermehrung der Arbeitsgelegenheit gehen. Zu diesem Behuf gilt es, die bestehenden Vorurteile und Gewohnheiten zu besiegen, die zurzeit die umfassendere Verwendung weiblicher Arbeitskräfte hindern. Manches ist bereits darin erreicht worden, wie die Verwendung von Frauen für den Post-, Telegraphen- und Eisenbahndienst in vielen Staaten beweist. Eine völlige Gleichstellung der Geschlechter auf allen Arbeitsgebieten kann freilich nicht das Ziel sein. Denn trotz der gegenteiligen Behauptung Mills u. a. begründet das Geschlecht eine natürliche Verschiedenheit der körperlichen, geistigen und Gemütsanlagen, die Berücksichtigung verdient. Wie die schwere körperliche Arbeit und der Waffendienst ganz, wird die leitende geistige Tätigkeit den Männern (in der Regel wenigstens) vorbehalten bleiben. Die genauere Grenzbestimmung wird hierin erst durch eine reichere Erfahrung gewonnen und überhaupt nicht mit absoluter Gültigkeit festgestellt werden können. Gegenwärtig erscheinen die Frauen oft selbst noch in solchen Beschäftigungen von den Männern verdrängt, für die, wie auf dem Gebiete des Elementarunterrichts, der Mädchenerziehung, der Krankenpflege u. a., ihre natürliche Befähigung nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden kann. Indem man die Erziehung verbessert und das Gebiet der weiblichen Wirksamkeit erweitert, wird zugleich die sittliche Würde der Frauen erhöht, wirksamer als mit bloßen Polizeimaßregeln dem weitern Umsichgreifen der Prostitution gesteuert wird. Denn in der materiellen Not der ledigen weiblichen Bevölkerung liegt eine der wichtigsten Ursachen für die bedenkliche Ausbreitung des Übels. [...]

Politische Gleichstellung. Die Gleichstellung des weiblichen Geschlechts mit dem männlichen auf dem Gebiete des Privatrechts (Einräumung gleicher Befugnisse in bezug auf Vermögensverwaltung, Testamentserrichtung, Vormundschaftsführung, Bürgschaftsleistung etc.) entspricht einer Forderung der Gerechtigkeit, deren Erfüllung auf höherer Kulturstufe nicht abzuweisen ist. Von den meisten modernen Kulturvölkern ist sie im Prinzip anerkannt und der Hauptsache nach vollzogen. Immerhin sind noch manche beschränkende Bestimmungen, besonders im Familienrecht, in Geltung, die der Anschauung entspringen, daß dem Mann als dem Haupte der Familie auch die Verwaltung und Nutznießung des seiner Frau gehörigen Vermögens gebühre. Daß die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts ebenso allgemeine Anerkennung in Zukunft finden werde wie die privatrechtliche, unterliegt starkem Zweifel. Auch gehen die Forderungen der Frauen selbst in der Regel über die Gewährung des bloßen Stimmrechts nicht hinaus. Das auf politische Gleichberechtigung gerichtete Verlangen entspringt weniger einem praktischen Bedürfnis als einer theoretischen Anschauung von zweifelhaftem Werte. Die geistige Individualität der Frau sowie das bei ihr vorherrschende Gemütsleben lassen sie für eine tätige Teilnahme am öffentlichen Leben wenig geeignet erscheinen. [...] Dem Mann der Staat, der Frau die Familie!"

Frauenvereine und ihre Tätigkeit#

Im Kontext der "Frauenfrage" bot im späteren 19. Jahrhundert ein weites Netz sehr unterschiedlicher Assoziationen vor allem den bürgerlichen Frauen Ansätze zu politischer und sozialer Tätigkeit sowie Möglichkeiten zur Bildung und Ausbildung. Diese Frauenvereine werden in Meyer, Bd. 7, S. 46-47 erläutert:

"Nach dem Vorbilde der 1860 in London gegründeten Society of promoting the employment of women und ähnlicher Unternehmungen in Frankreich bildete sich 1865 in Berlin der unter dem Protektorat der damaligen deutschen Kronprinzessin Viktoria stehende, von dem Präsidenten Lette gegründete Lette-Verein. Dieser besitzt eine Handels-, Gewerbe-, Zeichen- und Modellierschule, eine photographische Lehranstalt, Setzerinnenschule, ein Kunsthandwerkatelier, eine Haushaltungsschule, Wasch- und Plättlehranstalt. [...] Außerdem hat der Verein ein Arbeitsnachweisungs- und Stellenvermittelungs-Bureau eingerichtet, ferner den Viktoriabazar für den Verkauf weiblicher Handarbeiten, ein Damenrestaurant mit Kochschule, eine Darlehnskasse (Lette-Stiftung). Ähnliche Lette-Vereine sind in vielen größern Städten gebildet worden. Sie haben sich 1869 zu dem 'Verband deutscher Frauenbildungs- und Erwerbsvereine' unter dem Vorsitz des Berliner Lette-Vereins zusammengeschlossen. Ihr Organ ist der 'Deutsche Frauenanwalt'. Luise Otto-Peters gründete 1865 den Allgemeinen deutschen Frauenverein in Leipzig, der gleich dem Lette-Verein bestrebt ist, für die erhöhte Bildung des weiblichen Geschlechts und für die Befreiung der weiblichen Arbeit von allen ihrer Entfaltung entgegenstehenden Hindernissen mit vereinten Kräften zu wirken. Zwischen dem Lette- Verein und dem Allgemeinen deutschen Frauenverein, der in vielen andern Orten Zweigvereine und in den 'Neuen Bahnen' sein Vereinsorgan besitzt, besteht insofern ein prinzipieller Unterschied, als der letztere die weibliche Selbsthilfe vorzugsweise betont, die Männer, abgesehen von einer Ehrenmitgliedschaft, daher gänzlich ausschließt, und als er durch Wanderversammlungen für die Ausbreitung der vertretenen Ideen wirken will. Der Verein Reform, mit dem Sitz in Weimar, später Hannover, arbeitete für die Zulassung der Frauen zum Universitätsstudium und errichtete 1893 in Karlsruhe das erste Mädchengymnasium; sein Organ ist der 'Frauenberuf' (Weimar). An die Stelle dieses Vereins trat der über ganz Deutschland verbreitete Verein Frauenbildung-Frauenstudium, der an mehreren Orten Mädchengymnasien geschaffen und Lokalvereine zu deren Errichtung und Unterhaltung gegründet hat. Vgl. Luise Otto- Peters, Das erste Vierteljahrhundert des Allgemeinen deutschen Frauenvereins (Leipz. 1890); Jenny Hirsch, Geschichte der 25jährigen Wirksamkeit des Lette-Vereins (Berl. 1891); L. Morgenstern, Frauenarbeit in Deutschland (Geschichte und Statistik, das. 1893, 2 Tle.).- [...] Die Zunahme der Frauenbewegung seit Ende der 1880er Jahre hat in Deutschland Vereine unter dem Namen Frauenwohl entstehen lassen, die, vielfach über die Ziele der bisherigen F[rauenvereine] hinausgehend, eine weitgehende rechtliche und tatsächliche Gleichheit des weiblichen Geschlechts mit dem männlichen im privaten und öffentlichen Leben erstreben und sich auch der Interessen der Arbeiterinnen wärmer annahmen.

Frauengewerkvereine für die Arbeiterinnen wurden zuerst in den 1870er Jahren in Nordamerika und England gegründet. Sie verbreiteten sich in England besonders seit 1889, nachdem sich die Gewerkvereine der Arbeiter für die Organisation der weiblichen Arbeit ausgesprochen haben. Diese Bewegung wird unterstützt durch die Womens Provident Society und die Womens Trade Association in London. In den Vereinigten Staaten, wo die Frauenbewegung mehr politischer Natur ist und im Anschluß an die Antisklavereiagitation entstand, bildete sich, seit 1848 vorbereitet durch Frauenkongresse, die National Women Suffrage Association und die American Suffrage Association, die 1890 zu der National American Suffrage Association verschmolzen und die Erlangung des Frauenstimmrechts erstreben. Ähnliche Vereine hat England mit der 1867 gegründeten National Society for Women Suffrage als Führerin.

[...] Eine weitere Kategorie von Frauenvereinen bilden die zahlreichen reinen Wohltätigkeitsvereine, wie die Vereine zur Fürsorge für die Erziehung des heranwachsenden Geschlechts in Waisenhäusern, die Bestrebungen für Rettungsanstalten verwahrloster Kinder, gesunkener Mädchen u. dgl., die Vereine für Gesundheitspflege etc. [...] Eine gleichmäßig fortschreitende Tätigkeit entwickelt der Kinderschutzverein zu Berlin, der die Aufgabe verfolgt, durch Austun von Säuglingen und Kindern im ersten Lebensalter an Pflegemütter und durch Überwachung der letztern der abscheulichen 'Engelmacherei' entgegenzuwirken. In seinem Weitergang will dieses System der Beaufsichtigung von Haltekindern Ersatz bieten für die Findelhäuser. Der Frauenverein 'Oktavia Hill' in Berlin widmet sich nach einem Londoner Vorbild der Verbesserung der Wohnungsverhältnisse der ärmern Klassen. [...] Die eigentlich wirtschaftlichen F[rauenvereine] stellen eine Art genossenschaftlicher Unternehmung dar auf der Basis freier Vereinsbildung und beruhen auf dem Prinzip der Selbsterhaltung aus eignen Geschäftserträgnissen. Reine Unternehmungen sind sie nicht, weil die oberste Geschäftsleitung unentgeltlich als Ehrenamt von Frauen in Verbindung zugleich mit Männern wahrgenommen wird. Hierher gehören die Volksküchen [...] und die Hausfrauenvereine [...], Schöpfungen, die durch Lina Morgenstern [...] ins Leben gerufen und lebensfähig gemacht sind."

Zu den Volksküchen, deren Konzept auf das 18. Jahrhundert zurückgeht, die aber vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und vornehmlich durch Initiative von Frauenvereinen in Erscheinung traten, heißt es in Meyer, Bd. 20, S. 234:

"Wohlfahrtsanstalten, in denen unbemittelte, namentlich alleinstehende Personen zu billigen Preisen, seltener unentgeltlich, nahrhafte Kost erhalten. [...] Die erste größere, auf dem Prinzip der Selbsterhaltung beruhende Anstalt wurde 1849 in Leipzig gegründet (die zweite daselbst 1871); ihr folgten Dresden 1851, Berlin 1866 (das daselbst in den 50er Jahren gegründete Institut von Ravené bestand nur kurze Zeit), Prag, Brüssel, Breslau 1868, Graz und Hamburg 1869, Straßburg 1870, Wien 1873 etc. Einem großen Teil der deutschen (auch einigen ausländischen) V[olksküchen] haben die Einrichtungen der Leipziger Anstalt als Vorbild gedient. In allen V[olksküchen] wird pro Kopf durchschnittlich 1 Lit. Gemüse in Bouillon gekocht und etwa 1/12 kg Fleisch gegeben, die Preise dafür schwanken zwischen 15 und 30 Pf. In manchen Gegenden muß man sich durch Mehrlieferung (Abgabe von weitern halben Portionen) den betreffenden Gewohnheiten anfügen. Die Berliner V[olksküchen] (zurzeit 8 mit jährlich 1,168,770 Portionen), von Lina Morgenstern gestiftet, vermochten einen Unterstützungsfonds anzusammeln. Ihre Erfahrungen lehrten, daß sogen. halbe Portionen für Frauen und Kinder zur Ernährung vollkommen ausreichen. Vgl. Lina Morgenstern, Die V[olksküchen] (Berl. 1883) und Hilfsbuch zur Gründung, Leitung und Kontrolle von V[olksküchen] (3. Aufl., das. 1900); die Festschrift zum 25jährigen Jubiläum des Vereins Berliner V[olksküchen] (das. 1891); Kühn, Die Wiener V[olksküchen] (2. Aufl., Wien 1894); Blum, Volks- und Krankenküchen (Leipz. 1903)."

Zu den Hausfrauenvereinen schließlich findet sich in Meyer, Bd. 8, S. 887 folgender Eintrag: "Frauenvereine, welche die Wahrung der Interessen der Frauen, insbes. der wirtschaftlichen und häuslichen, durch Verbreitung nützlicher Kenntnisse, durch einheitliches Vorgehen auf dem Markte (Preishöhe, Einkaufsbedingungen etc.), durch unentgeltlichen Stellen- und Arbeitsnachweis von Dienstboten und andern Arbeitskräften, durch Organisation von Koch- und Haushaltungsschulen, Prämiierung von Hausangestellten, Einrichtung von Rechtsschutzstellen für unbemittelte Frauen und Unterstützungskassen für arme arbeitsunfähige Dienstboten bezwecken. Der erste Hausfrauenverein war der 1873 von Lina Morgenstern in Berlin gegründete Verein, nach dessen Muster 1875 der Wiener Hausfrauenverein (von Taußig), mit dem auch ein Konsumgeschäft verbunden ist, eingerichtet wurde. Ähnliche Vereine bestehen noch in mehreren Städten. Der Wiener Hausfrauenverein gibt die 'Wiener Hausfrauenzeitung' heraus; unter dem Titel 'Deutsche Hausfrauenzeitung' erscheint seit 1874 eine Wochenschrift in Berlin (hrsg. von L. Morgenstern)."

Gutzkows Berufskolleginnen: Schreibende Frauen#

Gutzkow und die „Frauenfrage“#

Gutzkows Kommentare zur Frauenemanzipation#

Weibliche Selbstverwirklichung: das klassisch-romantische Modell#

Emanzipation in Gutzkows Darstellung von Frauen#

Forschungsliteratur (Auswahl) #

Marion Beaujean: Unterhaltungs-, Familien-, Frauen- und Abenteuerromane. In: Horst Albert Glaser (Hg.) Vormärz, Biedermeier, Junges Deutschland, Demokraten 1815-1848. Reinbek: Rowohlt, 1980. (Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. Bd. 7). S. 152-163.

Ruth-Ellen Boetcher Joeres: Respectability and Deviance: Nineteenth-Century German Women Writers and the Ambiguity of Representation. Chicago usw.: University of Chicago Press, 1998.

Helga Brandes, Detlev Kopp (Hgg.): Autorinnen des Vormärz. Jahrbuch Forum Vormärz Forschung. Bielefeld. Jg. 2, 1996.

Elisabeth Bronfen: Over Her Dead Body. Death, Femininity and the Aesthetic. Manchester: Manchester University Press, 1996.

Hannelore Burchardt-Dose: Das Junge Deutschland und die Familie. Zum literarischen Engagement in der Restaurationsepoche. Frankfurt/M.: Lang, 1979.

M. Kay Flavell: Women and Individualism: A Re-Examination of Schlegel's "Lucinde" and Gutzkow's "Wally, die Zweiflerin". In: Modern Language Review. London. Nr. 70, 1975, S. 550-566.

Gustav Frank und Detlev Kopp (Hgg.): "Emancipation des Fleisches". Erotik und Sexualität im Vormärz. Jahrbuch Forum Vormärz Forschung. Bielefeld. Jg. 5, 1999.

Ute Frevert (Hg.): Bürgerinnen und Bürger. Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1988.

Ute Frevert: Frauen-Geschichte. Zwischen bürgerlicher Verbesserung und neuer Weiblichkeit. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1986.

Jay Geller: Contact with Persistent Others: The Representation of Women in Schlegel, Hegel, and Gutzkow. Diss. Duke University, 1985.

Ute Gerhard: Verhältnisse und Verhinderungen. Frauenarbeit, Familie und Recht der Frauen im 19. Jahrhundert. Vierte Aufl. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1989.

Carola Hilmes: Die Femme fatale. Ein Weiblichkeitstypus in der nachromantischen Literatur. Stuttgart: Metzler, 1992.

David Horrocks: Maskulines Erzählen und feminine Furcht. Gutzkows "Wally, die Zweiflerin". In: Roger Jones, Martina Lauster (Hgg): Karl Gutzkow. Liberalismus - Europäertum - Modernität. Bielefeld: Aisthesis, 2000. S. 149-163.

Irina Hundt (Hg.): Vom Salon zur Barrikade. Frauen der Heinezeit. Stuttgart, Weimar: Metzler, 2002.

Gunhild Kübler: Die soziale Aufsteigerin. Wandlungen einer geschlechtsspezifischen Rollenzuschreibung im deutschen Roman 1870-1900. Bonn: Bouvier, 1982.

Martina Lauster: Lucinde's Unfinished Business: Women and and Religion in Gutzkow’s Works. In: Jürgen Barkhoff, Gilbert Carr und Roger Paulin (Hgg.): Das schwierige neunzehnte Jahrhundert. Germanistische Tagung zum 65. Geburtstag von Eda Sagarra im August 1998. Tübingen: Niemeyer, 2000. S. 427-442.

Susanne Ledanff: Charlotte Stieglitz. Geschichte eines Denkmals. Frankfurt/M.: Ullstein, 1986.

Christine Lehmann: Das Modell Clarissa. Liebe, Verführung, Sexualität und Tod der Romanheldinnen des 18. und 19. Jahrhunderts. Stuttgart: Metzler, 1991.

Wolfgang Lukas: Experimentelles Schreiben und neue Sprachästhetik in den 30er Jahren. Zu Gutzkows "Seraphine". In: Gustav Frank, Detlev Kopp (Hgg.): Gutzkow lesen! Beiträge zur Internationalen Konferenz des Forum Vormärz Forschung vom 18. bis 20. September 2000 in Berlin. Bielefeld: Aisthesis, 2001. S. 65-97.

Renate Möhrmann: Die andere Frau. Emanzipationsansätze deutscher Schriftstellerinnen im Vorfeld der Achtundvierziger-Revolution. Stuttgart: Metzler, 1977.

Debbie Pinfold, Ruth Whittle: Voices of Rebellion. Political Writing by Malwida von Meysenbug, Fanny Lewald, Johanna Kinkel and Louise Aston. Bern usw.: Lang, 2005.

Inge Rippmann: "... statt eines Weibes Mensch zu sein". Frauenemanzipatorische Ansätze bei jungdeutschen Schriftstellern. In: Joseph A. Kruse, Bernd Kortländer (Hgg.): Das Junge Deutschland. Kolloquium zum 150. Jahrestag des Verbots vom 10. Dezember 1835. Düsseldorf: Hoffmann & Campe, 1986. S. 108-133.

Eda Sagarra: "Echo oder Antwort". Die Darstellung der Frau in der deutschen Erzählprosa 1815-1848. In: Geschichte und Gesellschaft. Göttingen. Jg. 7, 1981, S. 394-411.

Sigrid Schmid-Bortenschlager: Frauenliteratur im 19. Jahrhundert - Ideologie, Fiktion, Realität. Dargestellt am Beispiel der Thematik "Versorgungsehe". In: Eijir o Iwasaki (Hg.): Akten des VIII. Kongresses der IVG Tokyo 1990. Bd. 10. München: Iudicium, 1991. S. 246-250.

Kerstin Wilhelms: "Sie schien ein Mann geworden...". Phantastische Frauen in Romanen der Revolution von 1848/49. In: Jahrbuch Forum Vormärz Forschung. Bielefeld. Jg. 3, 1997, S. 143-160.

Wulf Wülfing: Zum Mythos von der "deutschen Frau": Rahelbettinacharlotte vs. Luise von Preußen. In: Klaudia Knabel, Dietmar Rieger, Stephanie Wodianka (Hgg.): Nationale Mythen - kollektive Symbole. Funktionen, Konstruktionen und Medien der Erinnerung. Göttingen: Vandenkoeck & Ruprecht, 2005. S. 145-174.

Wulf Wülfing: Zur Mythisierung der Frau im Jungen Deutschland. In: Zeitschrift für deutsche Philologie. Berlin. Bd. 99, 1980, S. 559-581.

(Martina Lauster, Exeter)