Wir stellen die Gutzkow Gesamtausgabe zur Zeit auf neue technische Beine. Es kann an einzelnen Stellen noch zu kleinen Problemen kommen.

Minter, Karl Friedrich und seine Familie#

Metadaten#

Autor
  1. Wolfgang Rasch
Fassung
1.0
Letzte Bearbeitung
22.03.2024

Text#

Minter, Karl Friedrich#

und seine Familie#

Karl Friedrich Minter (geb. 1780 in Stettin, gest. 2. Februar 1847 in Warschau), Miniatur- und Porträtmaler, Lithograph, Kartograph, Fabrikant; in Berlin zwischen 1815 und 1822 Mentor und Förderer des jungen Gutzkow, der ihn in seinem Erinnerungsbuch Aus der Knabenzeit (1852) unter dem Pseudonym Herr Cleanth einführt.

Allgemeines#

Karl Friedrich Minter wurde 1780 als Sohn eines Beamten der Salzverwaltung in Stettin (heute Szczecin, Polen) geboren. Über seinen Bildungsweg und die ersten drei Jahrzehnte seines Lebens ist nahezu nichts bekannt. Er studierte in Kopenhagen und ließ sich dort als Maler ausbilden. Um 1805 kam er nach Berlin. 1811 trat er hier in die 1776 gegründete Freimaurerloge „Zum Pilgrim“ ein.* Als Künstler nahm Minter an den Berliner Akademie-Ausstellungen 1812, 1814 und 1816 mit Miniaturmalereien teil. 1814 schuf er ein fast lebensgroßes Ganzbild von König Friedrich Wilhelm III. Er wohnte zu jener Zeit in der Jägerstraße Nr. 25 und erteilte als Privatlehrer Unterricht „im freien Handzeichnen und Portraitmalen“.*

1811 heiratete Minter Johanna Julianna Grohse (1782-1855), die offenbar gleichfalls aus Stettin stammte. Nach Gutzkows erstem Biographen Johannes Proelss brachte „seine feingebildete Gattin“ ein beachtliches Vermögen mit in die Ehe, das dem Gatten „eine unabhängige Stellung gewährte.“* Im März 1812 kam ihr Sohn Karl Julius Minter zur Welt, Gutzkows Freund in Kindertagen. Anfang Januar 1815 zog Minter mit seiner Familie in die Letzte Straße Nr. 4 (ab 1822: Dorotheenstraße). Seinen Wohnungswechsel gab er in der „Spenerschen Zeitung“ bekannt.* Das große Haus an der nordwestlichen Ecke zur Universitätsstraße gehörte dem Berliner Hofzahnarzt Johann Heinrich Lautenschläger. Es lag der Wohnstatt der Gutzkows im Marstallbereich des Akademiekarrees fast gegenüber. Der damals vierjährige Gutzkow dürfte im Laufe des Jahres 1815 in Minters Haus gekommen sein und Freundschaft mit dem ein Jahr jüngeren Karl Julius geschlossen haben.

Minter blieb hier nicht lange wohnen und kaufte etwa zwei Jahre später das Haus Behrenstraße Nr. 53 (vgl. Berliner Adressbücher, Jg. 1818/19, Dritte Abtheilung, S. 37), um bald darauf – vermutlich im Laufe von 1819 – erneut umzuziehen. Am vornehmen Leipziger Platz, der seiner Form nach „Achteck“ genannt wurde und bis 1814 auch offiziell so hieß, erwarb er das Haus Nr. 12, ein Stadtpalais aus dem 18. Jahrhundert mit großen Gartenanlagen, das einige Jahre zuvor dem preußischen Schulreformer und Aufklärer Friedrich Eberhard von Rochow (1734-1805) gehört hatte und in das Eigentum eines 1816 verstorbenen Enkels von Rochow, des ehemaligen preußischen Justizministers Eberhard Friedrich Christoph Ludwig von der Recke, gelangt war. Minter ist 1820 zum ersten Mal mit dieser Wohnungsangabe im Berliner Adressbuch nachgewiesen (Berliner Adressbücher, Jg. 1820, S. 288).

Sehr früh interessierte sich Minter für eine neue graphische Vervielfältigungstechnik, die Lithographie, die Aloys Senefelder um 1800 entwickelt hatte. Wie sein Sohn Jahrzehnte später berichtet, befasste sich sein Vater „schon vor 1820 mit rationellen lithographischen Versuchen, namentlich in Kreidemanier, sowohl mit Zusammensetzung der Kreiden, wie auch mit dem Aetzen und Drucken selbst, wobei ihm gründliche chemische Kenntnisse zu statten kamen. Er hatte zu diesem Behufe eine eigene lithographische Presse im Hause.“*

Das besondere Interesse an der Lithographie sowie ein großer Auftrag der staatlichen Kriegskommission, eine Landkarte Polens zu erstellen, führten Minter schließlich in die Hauptstadt des konstituionellen Königreichs Polen (Kongresspolen), das in Personalunion mit Russland vom russischen Zaren als König von Polen regiert wurde. Minters Bruder Wilhelm Heinrich Minter, Oberst des Ingenieur-Korps der polnischen Armee und schon lange in Warschau heimisch, dürfte den Ortswechsel in die Wege geleitet und befördert haben. „Im Frühjahre 1822 übersiedelte mein Vater nach Warschau,“ so schreibt Karl Julius Minter später, „setzte seine Versuche fort, übernahm die Einrichtung eines lithographischen Instituts für das damals hier bestehende Ministerium des Cultus und des öffentlichen Unterrichts, und leitete dasselbe ferner als Director seit dem 1. Januar 1824.“*

In dieser Stellung blieb Minter bis ins Jahr 1826. Nebenher schuf er eine Reihe lithographischer Porträts hochgestellter polnischer Persönlichkeiten. Die Glanzleistung seiner lithographischen Kunst erreichte er jedoch mit der Ausarbeitung einer topographisch genauen Karte des Königreichs Polen, an der er seit 1822 arbeitete und die erst 1843 fertig wurde.

1828 gab Minter seinen Beruf als Porträtmaler und Graphiker auf. Sein Palais in Berlin hatte er verkauft. Er verfügte über ausreichende finanzielle Ressourcen, um in Warschau eine große Fabrik für Metallguss zu gründen und sich neben dem Fabrikgelände eine Villa zu bauen. Gleichzeitig ließ er sich in die Warschauer Kaufmannsvereinigung aufnehmen. In seiner Fabrik wurden kunstgewerbliche Artikel (auch für den kirchlichen Gebrauch) hergestellt, ebenfalls künstlerisch hochwertig gestaltete Medaillons berühmter Polen oder Miniaturdenkmäler aus Metall. Die Fabrik übergab er 1835 an seinen Sohn Karl Julius Minter, unter dessen Leitung sie weiter expandierte und prosperierte. Am 2. Februar 1847 starb Karl Friedrich Minter in Warschau. Beigesetzt wurde er auf dem evangelisch-augsburgischen Friedhof. Die Familiengrabstätte der Minters ist bis heute erhalten.

Minters Kinder, Karl Julius Minter#

Es lässt sich aufgrund der schmalen Quellenlage bislang nicht klären, wieviel Kinder Karl Friedrich Minter und seine Frau hatten. Gutzkow erwähnt in Aus der Knabenzeit neben dem Sohn Karl Julius noch eine ältere Schwester, die wie seine eigene Schwester Caroline hieß und etwa in ihrem Alter gewesen sein soll. Demnach wäre Caroline Minter um 1802 zur Welt gekommen und 1815 (wie Caroline Gutzkow) etwa 13 Jahre alt gewesen. Ob dieses Mädchen einer früheren Verbindung eines der Eheleute entstammte, ob es vorehelich geboren oder ob es möglicherweise angenommen war, lässt sich nicht feststellen. In allen erreichbaren Quellen ist nur von einem Sohn die Rede.

Karl Julius Minter wurde Anfang März (vermutlich am 2.3.) 1812 in Berlin geboren.* Seine Eltern zogen 1815 von der Jägerstraße in die Dorotheenstraße, wo sich im Laufe der Zeit zwischen Gutzkow und dem ein Jahr jüngeren Karl Julius eine innige Kinderfreundschaft entwickelte, die auch durch weitere Umzüge der Familie Minter in die Behrenstraße und schließlich an den Leipziger Platz nicht gestört wurde. Der junge Minter wurde von seinem Vater und einem Hauslehrer unterrichtet. Sonntags nahm Gutzkow, der seit 1818 eine sogenannte Klippschule besuchte, an diesen Unterrichtsstunden teil.

1822 kam Karl Julius Minter mit seinen Eltern nach Warschau, wo er das angesehene Warschauer Gymnasium besuchte (1803 als Königlich-Preußisches Lyzäum zu Warschau gegründet, 1831 von der zaristischen Regierung als revolutionärer Unruheherd geschlossen). Hier war Minter einige Jahre ein Schulfreund von Fryderyk Chopin (1810-1849), dessen Vater am Gymnasium Französisch unterrichtete. Minter studierte nach dem Abitur am Polytechnischen Institut, das im November 1830 während des polnischen Aufstandes seinen Lehrbetrieb einstellen musste. 1836 heiratete er Ludwika Czarnecka (gest. 1894); das Paar hatte einen Sohn Stanisław Karol (1851-1904).

Vermutlich war der junge Minter schon Anfang der 1830er Jahre in die Eisengussfabrik seines Vaters eingetreten. 1835 übernahm er die Leitung der Firma und führte sie jahrzehntelang erfolgreich weiter. In den 1860er Jahre stellte sein Unternehmen auch Küchenzubehör, Zinn- und Emaille-Geschirr her und war das größte seiner Art im zaristischen Russland. Um 1870 kaufte Minter, der inzwischen den Titel eines Kommerzienrats trug, das Landgut Gołoszyce im Kreis Opatów bei Kielce etwa 200 Kilometer südlich von Warschau und ließ sich dort nieder. 1881 veräußerte er sein Unternehmen an die Warschauer Aktiengesellschaft „Wulkan“. Am 4. August 1892 starb er auf seinem Landgut und wurde im Familiengrab auf dem evangelisch-augsburgischen Friedhof in Warschau bestattet.

Die Geschwister Karl Friedrich Minters#

Karl Friedrich Minter hatte drei Geschwister, die alle in Stettin geboren wurden, im Laufe ihres Lebens als preußische Immigranten nach Warschau kamen und dort heimisch wurden.

1. Die älteste Schwester Wilhelmine (1775-1843); sie blieb unverheiratet.

2. Der ältere Bruder Wilhelm Heinrich (Wilhelm Henryk, 1777-1832), der sich als Offizier, Architekt und Militäringenieur in Polen große Verdienste erwarb: Ausgebildet zum Baumeister für Armee- und Befestigungsbauten am Potsdamer Kadettenkorps, kam er 1800 im Auftrag der preußischen Armee als Bauinspektor nach Warschau, schuf dort zahlreiche Entwürfe für zivile und militärische Gebäude, blieb nach Abzug der Preußen im neu geschaffenen Herzogtum Warschau, erfreute sich der Förderung des Fürsten Józef Poniatowski (1763-1813, gefallen in der Schlacht von Leipzig), wurde durch dessen Protektion 1810 in das Ingenieurkorps der polnischen Armee aufgenommen, dem er bis 1830 diente; in dieser Zeit stieg er vom Hauptmann zum Oberst auf; 1813 nahm er als Adjutant von Poniatowski am Krieg und an der Völkerschlacht von Leipzig teil (das Herzogtum Warschau kämpfte an der Seite Frankreichs), wurde verwundet und geriet in kurzzeitig in Gefangenschaft. Wilhelm Heinrich Minter war mit der Polin Krystyna Rzempułowa verheiratet (die Ehe blieb kinderlos) und verstarb am 18. April 1832 in Warschau.

3. Die jüngere Schwester Henriette Sophie Marie (Henryka Zofia Maria, 1782-1855), die sich als Malerin (Porträts, Blumen, Blumenstillleben) ausbilden ließ, seit 1811 in Warschau lebte, 1813 dort Johann Gottlob Wilhelm Beyer (1778-1819) ehelichte und mit ihm drei Söhne hatte: Wilhelm Stanisław, Henryk und Karol. Henriette Beyer gründete 1824 in Warschau die erste Malerei-Schule für Frauen und galt in Polen als angesehene Malerin.

Gutzkow und die Familie Minter#

Gutzkows Erinnerungen Aus der Knabenzeit (1852) vermitteln einen lebhaften Eindruck davon, wie entscheidend die eigene Sozialisation von Karl Friedrich Minter und seinem Haus geprägt wurde. Gutzkow hat im Nachhinein seine Erfahrungen und Erlebnisse im Hause Minter zwischen 1815 und 1822 mit geradezu überschwenglichen Worten als vielleicht wichtigsten Wendepunkt seines jungen Lebens betrachtet. Die Eindrücke aus dieser Welt der Größe, des Reichthums und der Bildung (157,19-20), wo man die Armuth, die Leidenschaft, den Fluch der ewigen Mühe nicht kannte (156,32-34), bündelten sich für ihn zum glückhaft empfundenen Sonnenstrahl, der Licht, Erlösung, Freiheit brachte. (156,28-29.)

Gutzkow lernte im Hause Minter aus intimer Anschauung eine bürgerliche Wohn- und Lebenskultur kennen, die einen starken sozialen Gegensatz zu der weitestgehend bildungsfernen, von Arbeit und Not geprägten, beengten Umgebung seines Elternhauses bildete. Besonders das bildungsbürgerliche Ideal des freigeistigen Malers, die Vermittlung einer auf den praktischen Nutzen bezogenen, polytechnischen Wissenschaft, die Pflege der schönen Künste, wie sie auch von Minters Frau ausging, hinterließen einen nachhaltigen Eindruck auf den jungen Gutzkow. Diese bürgerliche Lebenswelt, in der es auf der Grundlage ökonomischer Unabhängigkeit möglich war, in großzügigeren Kategorien denken und gestalten zu können, wurde langfristig zum Vorbild seiner eigenen Existenz. Die im Hause Minter hochgehaltenen Werte von Bildung und Aufklärung übertrugen sich unmerklich auf das aufgeweckte Bedientenkind und wurden zur treibenden Kraft für seinen Wunsch, sich von der geknechteten, in Unmündigkeit gehaltenen Unterschicht seiner Eltern zu emanzipieren. Das Haus des Malers wurde zur neuen Heimath. In ein Doppeldasein verspannen sich nun alle Lebensfäden. Eine Alltags- und eine Sonntagsexistenz begann. […] Ein wunderbar neues Dasein brach an. Und wenn auch die Hülle der gewöhnlichen Existenz nicht ganz abgestreift werden konnte, die freie Psyche versuchte doch ihre wachsenden Schwingen oder, wenn die Schlacken des angebornen Looses auch wohl noch lange den Körper niederzogen, der Silberblick war dem Geist gewonnen, das reinere Metall schied sich vom Groben. Dieser Gegensatz war märchenhaft. (Aus der Knabenzeit, GWB VII, Bd. 1, S. 159-160.)

Gefördert von den strengen, scharf durchdachten erzieherischen Grundsätzen Minters, erweiterte sich nach allen Seiten hin der Wirklichkeits- und Wissenshorizont des Knaben. Auch unangenehme Seiten des bürgerlichen Milieus und Sozialverhaltens berührten mitunter den Sprößling eines prinzlichen Lakaien, der einigen Besuchern des gastfreien Hauses nur als Geduldeter in höheren Sphären galt. Affektierte Vornehmheit, geziertes Wesen und aufgesetzte Etikette dieser Familiengäste waren ihm von Haus aus fremd und schufen bisweilen schmerzlich empfundene Konfliktsituationen: Mancher Stachel der Zurücksetzung oder des erlittenen Unrechtes blieb lange in der verwundeten Kindesseele haften. Beklemmend war das Durcheinander der Interessen, das Laufen und Rennen der Menschen scheinbar um Nichts und dabei eine Geschwätzigkeit, die für jene Kreise durch etwas speziell Lokales noch eine besondere Färbung erhielt. Die Berliner hofräthliche Emsigkeit, die innere Leere des windigsten charakterisirten Nichts, die Abhängigkeit von einigen aufgerafften und auch gar zu sicher vorgetragenen Phrasen, eine blindlings angenommene Tradition, eine süße Unterwürfigkeit gegen Obere, ein ekelhaftes Zum-Mund-Reden von einer Gesellschaftsstufe zur andern, Sucht nach Auszeichnungen und leeren Titeln, […] alles das gestaltete sich schon früh dem Knaben wie das Wüsteste und Leerste und erfüllte ihn mit einer um so größeren Angst vor der Welt, als seine ursprüngliche Lebensheimath zwar die Armuth, aber eine frische, gesinnungsvolle, lebendige Ehrlichkeit gewesen war. (Aus der Knabenzeit, GWB VII, Bd. 1, S. 195,8-195,25.) Von diesen Affekten, Beobachtungen und späteren Gedankengängen waren Karl Friedrich Minter und seine Familie, die den Knaben ohne soziale Vorurteile in ihre Mitte aufgenommen hatten, ausdrücklich nicht betroffen. Ihnen hat Gutzkow zeitlebens ein dankbares Andenken bewahrt.

Gutzkow hat in Aus der Knabenzeit seinem Mentor und Förderer das Pseudonym Herr Cleanth (GWB VII, Bd. 1, S. 161,1-2) gegeben. Für die Wahl dieses Pseudonyms dürfte ihm der griechische Philosoph Kleanthes aus Assos (331-232 v. u. Z.) als Vorbild gedient haben, der mit Zenon zu den Hauptbegründern des Stoizismus gehört. Der Stoizist betrachtet mit Selbstbeherrschung und Gelassenheit die Welt und strebt danach, seinen individuellen Platz in der sozialen Ordnung zu finden, sinnvoll auszufüllen und fortwährend nach Weisheit zu streben. Affektkontrolle bzw. ›stoische Ruhe‹ zeichnen ihn aus. All diese Eigenschaften treffen nach Gutzkows Darstellung auch auf Karl Friedrich Minter alias Cleanth zu. Auch seinen Freund Karl Julius Minter nennt Gutzkow nie beim Namen, sondern bezeichnet ihn in den Erinnerungen abwechselnd mit Sohn des Malers, Gespiele, Jugendgespiele, Namensbruder, oder spricht einmal vom fernen Freunde.

Als Minters im Frühjahr 1822 nach Warschau aufbrachen, endete für Gutzkow jäh das fast tägliche Beisammensein mit seinem Freund. Trostreich mag gewirkt haben, dass ihm ein weiterer großer Lebenssprung gelang und er Ostern 1822 Schüler eines Berliner Gymnasiums wurde. Über einen Briefwechsel mit seinem Jugendfreund blieb Gutzkow der Familie jetzt verbunden. (Diese Korrespondenz ist nicht erhalten.) 1831 unternahm er den Versuch, die Familie in Warschau zu besuchen. Vermutlich wollte Gutzkow das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden und auch Näheres über den polnischen Novemberaufstand 1830 in Erfahrung bringen. Er scheiterte jedoch an der sturen Weigerung der russischen Botschaft in Berlin, ihm die nötigen Papiere auszustellen. Darüber berichtet Gutzkow, ohne den Namen Minter zu nennen, 1869 in seinen Erinnerungen Aus Empfangzimmern (GWB VII, Bd. 3, S. 139,17-142,2.) Über spätere Besuche und Begegnungen mit der Familie Minter, die immer wieder längere Erholungsreisen und Kuraufenthalte in Deutschland unternahmen, ist nichts Genaueres bekannt. Es hat sie aber gegeben, wie wir aus einem Brief von Karl Julius Minter wissen:

Als dieser im Frühsommer 1865 auf einer Kur in Bad Kissingen erfährt, dass sich Gutzkow in der Heilanstalt St. Gilgenberg befindet, bittet er den leitenden Arzt der Anstalt Dr. Falko, den Patienten besuchen zu dürfen. Er unterstreicht diesen Wunsch mit dem Hinweis, dass er mit Gutzkow bis zu dessen 11. Lebensjahr „in fast täglichem freundschaftlichem Umgange gelebt habe.“ Auf vielen Reisen sei er ihm wieder begegnet, habe „im Jahre 1832/33 wochenlang mit ihm zusammengelebt in Berlin und München“ und ihn „später in Dresden oft auf einige Tage besucht.“ Er habe die Zeit seines Freundes „nicht mit Correspondenzen in Anspruch nehmen“ wollen, sei aber fortwährend mit ihm „in freundschaftlichem Verkehr geblieben“.* Auch sei der älteste Sohn von Gutzkows Schwester vier Jahre lang in seiner Warschauer Firma Lehrling gewesen. Minter macht Dr. Falko auch noch auf Gutzkows Schilderungen in Aus der Knabenzeit aufmerksam. Ob sein Wunsch 1865 in Erfüllung ging, den Jugendfreund zu besuchen und ihm gut zuzusprechen, ließ sich nicht feststellen. Auch auf die Frage, ob es nach 1865 noch Kontakte und Begegnungen gab, geben die vorliegenden Quellen keine Antwort.

Zwanzig Jahre zuvor, im Sommer 1845, befand sich die Familie Minter in der Nähe von Frankfurt und kündigte einen Besuch bei den Gutzkows an. Gutzkow war zu diesem Zeitpunkt jedoch selbst auf Reisen und bat am 12. Juni 1845 von Meran aus seine Frau, Minters freundlichst aufzunehmen. Dabei bekräftigt er die immense Bedeutung dieser Familie für seine Entwicklung und seinen weiteren Lebensweg: Durch Minters bin ich eigentlich zuerst meiner häuslichen Sphäre entrückt worden. Wenn ich es ein Glück nennen muß, das zu sein, was ich geworden bin, so verdanke ich das Glück Minters, durch die mir ein andres Lebenselement zuströmte, durch die ich jene, wie soll ich sagen, Vornehmheit erhielt, die mich von meiner Geburt emanzipirte. Dennoch hing’ ich voll Liebe an meinen Eltern und fühle diesen Schlag bis tief ins Herz hinein. / Minters zu versäumen, thäte mir zu leid! Nimm sie mit achtungsvoller Hingebung auf, besuche sie, widme Dich ihnen ganz. Ich verdanke Ihnen viel und was mein Geistiges anlangt, vielleicht Alles.*

Quellen#

Berliner Adressbücher, Jge. 1819-1822

Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen. [Spenersche Zeitung.] Berlin. 1812-1815. (Online-Ressource: Digi-Press.)

Karl Julius Minter an Dr. August Falko, Kissingen, 15. Juni 1865. In: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main, Nachlass Karl Gutzkow, Sign.: A 2 I, Nr. 65,165 (maschA). Unveröffentlicht.

Carl Julius Minter, Warschau, im December 1871: Correspondenz. In: Polygraphisches Centralblatt. Leipzig. 7. Jg., Nr. 2, 1872, S. 9-10. [Über die Verdienste seines Vaters als Lithograph.]

Literatur#

Tomasz Markiewicz, Tadeusz W. Świątek, Krzysztof Wittels: Polacy z wyboru. Rodziny pochodzenia niemieckiego w Warszawie w XIX i XX wieku. Polen aus freier Wahl. Deutschstämmige Familien in Warschau im 19. und 20. Jahrhundert. Warszawa : Dom Spotkań z Historią, 2012.

(Mkuch:) Minter. In: Polen aus freier Wahl. Deutschstämmige Familien in Warschau im 19. und 20. Jahrhundert. Online-Ressource (zuletzt aufgerufen 14.3.2024)

Uta Motschmann (Hg.): Handbuch der Berliner Vereine und Gesellschaften 1786-1815. Berlin, München, Boston: de Gruyter, 2015. S. 387 u. 470.

Ignacy Philipp: Minter, Karl Friedrich … In: Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart. Begründet von Ulrich Thieme u. Felix Becker. Hg. von Hans Vollmer. Bd. 24. Leipzig: Seemann, 1930. S. 583.

Johannes Proelss: Karl Gutzkows Kinderjahre. Deutsches Familienblatt. Eine illustrirte Wochenschrift. Berlin. Bd. 1, Nr. 8, 22. Februar 1880, S. 130-132.

P. Wątroba: Minter, Wilhelm Henryk … In: De Gruyter Allgemeines Künstler-Lexikon. Die Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker. Hg. von Andreas Beyer, Bénédicte Savoy u. Wolf Tegethoff. Bd. 90. Berlin, Boston: de Gruyter, 2016. S. 16-17.