Illustrierte Periodika#
Metadaten#
- Autor
- Martina Lauster
- Fassung
- 1.0
- Letzte Bearbeitung
- 04.2005
Text#
Illustrierte Periodika#
im 19. Jahrhundert als Medium zur Wissens- und Informationsvermittlung sowie zur Unterhaltung hoch entwickelt. In dieser medialen Funktion kam ihnen - durch Lithographien, Stahl- und Holzstiche, später durch Photographien bebildert - vor dem Einsatz des Films große Bedeutung zu.
Allgemeines #
Schnellpresse und Illustrationstechnik wälzten die literarische Kultur im 19. Jahrhundert von Grund auf um. Durch hohe Auflagen und Serialisierung wurden vorher teure Drucke für weite Leserkreise erschwinglich, und Graphik, vor allem der Holzstich, wurde zu einer jedermann verfügbaren Gebrauchskunst. Illustrationen machten den enzyklopädischen Bildungsstoff des Jahrhunderts, vermittelt durch Belletristik, Journalismus und Lexikographie, anschaulich. In diesem Prozess spielten bebilderte Zeitschriften, Zeitungen und Lieferungswerke eine bedeutende Rolle. Die Illustration von Periodika stellte eine der großen publizistischen Neuerungen dar, die in den 1840er Jahren mit dem Programm "illustrirter" Zeitungen zum Tragen kam.
Bei der Entwicklung illustrierter Zeitschriften sind zwei Phasen zu unterscheiden. In der früheren, etwa ab dem späten siebzehnten Jahrhundert, erschienen Illustrationen hauptsächlich als ganzseitige Beilagen oder Tafeln. Dazu gehörten z.B. die Modekupfer, die nicht nur Damenzeitschriften, sondern viele allgemeine Kultur- und Unterhaltungsblätter zierten. Besonders seit der Französischen Revolution, als die Kleidung zum Signifikanten bürgerlicher Gleichheit und zugleich individueller Freiheit wurde, bestand ein starker Bedarf an Modebildern, die mit dem Neuesten aus Gesellschaft, Literatur, Theater, Kunst, Technik und Wissenschaft als geradezu gleichwertige visuelle Information geliefert wurden. Das in Weimar gegründete "Journal [des Luxus und] der Moden" Friedrich Justus Bertuchs (erschienen 1786-1827) ist die für das 18. und frühe 19. Jahrhundert bekannteste deutschsprachige Zeitschrift dieser Art. Unter den Zeitschriften des Deutschen Bundes wäre in dieser Kategorie an erster Stelle die "Wiener Theaterzeitung" Adolf Bäuerles zu nennen, die von 1806 bis 1860 erschien und im gesamten deutschen Sprachraum verbreitet war. Ihre farbigen Modekupfer wurden bis in die dreißiger und vierziger Jahre durch Szenenbilder von Theateraufführungen und genrebildliche Darstellungen des Wiener Lebens komplementiert. Die 1835 gegründete "Europa" August Lewalds mit ihren im Inhaltsverzeichnis so genannten "artistischen Beilagen" (Mode- und Theaterbilder, Schauspieler- und Künstlerporträts sowie Karikaturen) stellt ein weiteres Beispiel dar. Die Tafel-Beilagen entfielen sowohl in der "Wiener Theaterzeitung" als auch in der "Europa" später, vermutlich da andere Periodika mit neuen Illustrationsverfahren ihnen den Rang abgelaufen hatten. Die spätere Phase in der Entwicklung illustrierter Zeitschriften tritt nämlich mit der Integration der Abbildung in den Text ein, etwa ab Anfang der 1840er Jahre. Führend ist hier die "Leipziger Illustrirte Zeitung" des Verlegers Johann Jakob Weber, die erste deutschsprachige Nachrichtenzeitung mit Illustrationen, wöchentlich erscheinend von 1843 bis 1944. Mit der Eingliederung des Bildes in die Textseite erhöhte sich einerseits dessen Aussagekraft in Bezug auf Inhalte oder Informationen, die sprachlich vermittelt wurden. Die Abbildung konnte also gezielt pädagogisch eingesetzt werden, wie z.B. auch in den zahlreichen illustrierten Volkskalendern. Andererseits ergaben sich ganz neue Möglichkeiten der ästhetischen und witzigen Text-Bild-Beziehung, die vor allem von der Karikatur genutzt wurden und unter den Zensurbedingungen der Restauration und des Vormärz subversive Aussagen ermöglichten. Die illustrierten satirischen Zeitschriften im Vorlauf der 1848er Revolution (z.B. die Münchner "Fliegenden Blätter" und "Leuchtkugeln" oder die "Düsseldorfer Monathefte") integrierten ihre Abbildungen grundsätzlich in den Text, wobei die "Monathefte" zusätzlich noch ganzseitige Lithographien enthielten. Eduard Maria Oettingers Leipziger "Charivari" (erschienen ab 1842) war durch französische Holzstich-Vignetten im Text illustriert, und auch der 1848 gegründete "Kladderadatsch" wies keine separaten Bildbeilagen mehr auf.
Die beiden Illustrationstypen sind verschiedenen Reproduktionstechniken zugeordnet. Während die Abbildung außerhalb des Textes zunächst meist als Kupferstich, später als Steindruck (Lithographie) oder Stahlstich hergestellt wurde, verdankt sich die Abbildung im Text einer Verfeinerung des traditionellen, in der Reformation zur Blüte gelangten Holzschnitts zum Holzstich (Xylographie). Dazu wurden wie beim Metallstich verschieden feine Stichel verwendet, die eine Schattierung des Bildes mit zartesten Linien ermöglichten. Allerdings wurden und werden Holzstiche oft als Holzschnitte bezeichnet, trotz ihrer viel raffinierteren Oberfläche. Um diese herzustellen, wurde der Druckstock nicht mehr entlang der Faser bearbeitet wie im traditionellen Holzschnitt, sondern auf der Endfaser (dem 'Hirnholz'). Wie beim Holzschnitt handelt es sich beim Holzstich um ein Hochdruckverfahren, d.h. die die schwarz erscheinenden Linien heben sich von den weiß bleibenden Flächen ab, die tiefer liegen. Daher konnten Holzstiche mit den Metalltypen des Textes im selben Vorgang reproduziert werden; sie bildeten damit das graphische Äquivalent zum Schriftsatz, in den sie eingebaut waren. Ihr großer Vorteil bestand außerdem darin, dass die Widerstandsfähigkeit ihrer Druckstöcke sie für die Auflagenhöhen der Schnellpresse geeignet machte. Auch konnte man von ihnen metallene Stereotypen gießen und so die ersten großen Presse-Bildarchive anlegen. Johann Jakob Weber bezog anfangs einen Großteil der Holzstich-Illustrationen seiner Leipziger "Illustrirten Zeitung" als Stereotypen von den "Illustrated London News", dem Vorbild seiner eigenen Zeitung. Verwendet wurde für Holzstiche das harte, doch geschmeidige Buchsbaumholz, das, quer zum Stamm geschnitten, nur Druckstöcke mäßigen Durchmessers lieferte. Für größere Abbildungen mussten daher mehrere Holzplatten zusammengesetzt werden, die arbeitsteilig und zeitsparend von mehreren Stechern gleichzeitig bearbeitet werden konnten. Holzstich-Illustrationen entsprachen also nicht nur in ihren semantischen Möglichkeiten, sondern in ihrer ganzen Technik der Medien-Moderne, die mit der Schnellpresse begann.
Dieses moderne Illustrationsverfahren setzte sich im deutschen Kulturraum etwas später durch als in England und Frankreich. Schulbildend entwickelt von dem Nordengländer Thomas Bewick Ende des 18. Jahrhunderts und in englischen Periodika sowie Büchern schon im frühen 19. Jahrhundert gebräuchlich, blieb der Holzstich in Deutschland vor Anfang der 1840er Jahre nahezu auf einen einsamen Vorstoß des Leipzigers Wilhelm Friedrich Gubitz beschränkt, dessen Berliner Atelier nach englischer Manier gearbeitete Vignetten sogar nach Paris an den Verlagsbuchhändler Firmin-Didot lieferte. Bei diesem lernte wiederum Johann Jakob Weber in den 1820er Jahren, als die Holzstichkunst auch in Paris noch von emigrierten Engländern praktiziert und gelehrt wurde. Charles Thompson illustrierte ab 1817 die berühmten "Eremiten"-Bücher von V. J. E. de Jouy, die als erste französische Publikation mit genuinen Holzstich-Illustrationen (im Unterschied zu Schmuckvignetten) gilt (Blachon, S. 49). Der Basler Johann Jakob Weber ließ sich nach seinen Ausbildungsjahren in Leipzig nieder und machte sich sogleich als Geschäftsführer der dortigen Niederlassung des Pariser Verlagshauses Bossange an die Produktion seines ersten großen illustrierten Periodikums, der deutschen Version des englischen "Penny Magazine". "Das Pfennig-Magazin der Gesellschaft zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse" erschien jeden Sonnabend vom 4. Mai 1833 und gilt als "Vorläufer der 'Illustrirten Zeitung'" (Weber, S. 16). Obwohl Weber für das Lieferungswerk "Geschichte Friedrichs des Großen" von Franz Kugler mit Illustrationen von Adolph Menzel (Erscheinungsbeginn 25. Februar 1840) schließlich Berliner Künstler fand, die die Holzstiche nach Menzels Erwartungen fertigen konnten (die zuvor in Paris hergestellten Stiche gefielen ihm nicht), etablierten sich die ersten xylographischen Werkstätten in Deutschland erst Mitte der vierziger Jahre. Zu ihnen gehören das Atelier der Firma Braun und Schneider in München, aus dem die "Fliegenden Blätter" hervorgingen, mitbegründet von Kaspar Braun, der Ende der dreißiger Jahre die Holzstichkunst in Paris erlernt hatte (Blachon, S. 78), ferner Deis & Leidhecker in Stuttgart, Arnz & Co. in Düsseldorf, eher bekannt als Lithographische Anstalt, in der die "Düsseldorfer Monathefte" gezeichnet und gestochen wurden und in der über 20 Jahre vorher der junge Theodor Hosemann, zukünftiger Illustrator Adolf Glaßbrenners, als Kolorierer sein Geld verdiente (Ludwig, S. 88), und natürlich die große xylographische Anstalt der Leipziger "Illustrirten Zeitung".
Mit dem "Penny Magazine of the Society for the Diffusion of Useful Knowledge" und seinen europäischen Äquivalenten (in Frankreich dem "Magasin Pittoresque") beginnt der Siegeszug der billigen, illustrierten 'Heftchen', die der "Bildersucht", der "allseitige[n] Bildumsetzung des gesamten im 19. Jahrhundert verfügbaren Wissens und literarischen Schaffens" (Oesterle, S. 294) eine wichtige Stütze lieferten. Zur Lithographie, dem Stahlstich und der Xylographie gesellten sich bald Daguerreotypie, Photographie und Lichtdruck. Hatte Balzac die Serialisierung von Druckgraphik mittels einer Zeitschrift in der Ankündigung von "La Caricature" 1830 noch als zeitgemäßes kommerzielles Unternehmen begrüßt, von dem sowohl Künstler als auch Öffentlichkeit nur profitieren könnten (Balzac, S. 795-797), so machte sich besonders im letzten Jahrhundertdrittel verstärkte Kritik an der Illustrationsmanie geltend. Das ursprünglich als erzieherisch wertvoll gesehene Bild zum Text wurde als phantasiehemmend und geisttötend kritisiert (vgl. Oesterle, S. 295). Hinzu kam, dass der florierende europäische Handel mit Stereotypen dem Verleger und Leser oft Bilder zulieferte, die mit dem Text kaum korrespondierten.
Gutzkows Einstellung zur Illustration #
Gutzkow erkennt die zentrale Bedeutung neuer illustrierter Medien und setzt sich vor allem in seinen Journalbeiträgen oft mit ihnen auseinander. Er äußert dabei eine Medienkritik, die ebenso auf spätere Entwicklungen wie Fernsehen und Internet zutreffen könnte, indem er die Dialektik des Fortschritts verdeutlicht: Einerseits werden durch Illustration von Serienwerken und Zeitschriften viele Wissenszweige, z.B. Länder- und Völkerkunde, Naturgeschichte oder Technik, einer breiten Leserschicht zugänglich, andererseits drängt sich die Bild-Industrie aber zwischen Käufer und Hersteller, so dass die wahren Bedürfnisse der Leser nicht erfüllt werden und die Flut der Abbildungen genau das Gegenteil von Aufklärung bewirkt. Am deutlichsten findet sich diese Kritik wohl in "Illustration und Volksverdummung" aus den "Unterhaltungen am häuslichen Herd" vom 1. Oktober 1860. Positiv veranschlagt wird hier der pädagogische Wert der Illustration: "Keinem Zweifel ist es unterworfen, daß die seit einer Reihe von Jahren eingeführte Sitte der Illustrationen, bildlicher Erläuterungen zu einem gedruckten Texte, nützliche Kenntnisse, klare Anschauungen und sogar einen ästhetischen Sinn im Volke verbreitet hat. Vorzugsweise erleichterte sich dem größern Lesepublikum das Begreifen fremder Sitten, das Hineinleben in ferne Gegenden." (IllVdmWWW, 1,2-4) Negativ zu verbuchen ist dagegen die Tendenz zur Gewöhnung ans Bild als eigenes, vom Text abgelöstes Medium: "Daß [...] die vielen Bilder, mit denen zur Erkenntniß des Volks gesprochen wird, von dem Text, der sie begleitet, die Beschäftigung abziehen, ist eine erwiesene Thatsache. Wenige verweilen in 'Illustrirten Zeitungen' beim Text. Die größere Mehrzahl der Interessenten läßt sich das Anschauen der Bilder genügen." (IllVdmWWW, 2, 10-16) Ganz besonders 'verdummend' wirken die Abbildungen nach Gutzkows Ansicht gerade dort, wo sie volkspädagogisch am wirksamsten sein sollen, nämlich in der Kalenderliteratur. Durch die bloße Verdoppelung des Inhalts im Bild wird dem Leser Intelligenz geradezu abgesprochen: "Es gibt eine große Zahl von Zeitschriften und Kalendern, in welchen die Masse des Volks durch das Medium des Holzschnitts und einer mehr oder weniger belletristischen Darstellung für Gegenstände der Kunst und Wissenschaft gewonnen werden soll. Hier sind wir durch den Industrialismus nahezu an die Grenze des Blödsinns gekommen. Gegenstände, die im Wort und durch das Wort vollkommen für sich selbst sprechen, werden vom Zeichner wiederholt, ohne daß sich dafür irgendein Motiv anführen läßt." (IllVdmWWW, 3,10-18) In den dreißiger Jahren, als illustrierte Serienwerke wie das "Pfennig-Magazin" zu erscheinen begannen, wertete Gutzkow die Bebilderung eher positiv. Im Artikel "Literarische Industrie" aus der Sammlung "Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur" von 1836 heißt es über die illustrierten Pfennighefte: "Wer sind denn die Kaufenden? Leute, die den Buchhändler sonst nur um Rochow's Schulfreund oder den kleinen Katechismus ansprachen, Leute, die sich noch Nichts gekauft hatten, als kurz nach ihrer Verheirathung ein Gesangbuch. Wenn diese guten Leute, durch die großen Plakatbogen gelockt, in den Laden treten und es nach langer Verlegenheit endlich herausbringen, daß sie 144 Pfennige an das erste Quartal des Pfennigmagazins setzen wollen, wo ist da eine Verschleuderung? Liegt nicht in dieser simplen Pränumeration eine hübsche Anerkennung des Druck- und Bücherwesens? Das ist es; durch die verschrieene Neuerung wurde dem Buchhandel eine ganz neue Klasse von Käufern und Interessenten gewonnen, zuverlässige, ehrliche Leute, die pünktlich mit ihren Sparpfennigen erscheinen, tüchtige und gesunde, die der Buchhändler leicht für ein gemeinnütziges Unternehmen gewinnen kann."(LitIndWWW, 8,1-15)
Im selben Artikel findet sich auch ein interessanter Hinweis darauf, dass ausgerechnet illustrierte Pfennigliteratur und nicht die gehobene Lektüre des Bildungsbürgertums dem Buchhandel in Deutschland zu einem öffentlichen Status verhelfen könnte, den er im Vergleich zu England und Frankreich noch entbehrt. Bezeichnenderweise ist es der Franzose Bossange, der in Leipzig mit dem sensationellen, aus England eingeführten "Pfennig-Magazin" als Aristokrat ganz neuen Schlages auftritt, nämlich als Presse-Baron: "Als ich zu Anfang des Jahres 1834 in Leipzig war, versammelte eine neue Erscheinung [...] eine Menge neugieriger Zuschauer. Man befindet sich vor dem eleganten Gewölbe des Buchhändlers Bossange père aus Paris. Vor den steinernen Stiegen des Ladens hält ein kleines geschmackvolles Cabriolet, das mit einem großen geflochtenen Korbe [...] bedeckt ist. Ein Graukopf in Schuhen, mit blauem Frack und feiner Wäsche, in seiner aufrechten und gewandten Haltung den Franzosen verrathend, hält den eingeschirrten stampfenden Fuchs kurz am Zügel und beobachtet eine Menge junger Leute, die sich große Ballen gedruckten Papieres zureichen, um sie sorgfältig von hinten in den gelben Korb zu verpacken. / Das sind die neuen Numern des Pfennigmagazins! Ja das Pfennigmagazin hat sich Wagen und Pferde angeschafft, es fährt bei den Leipziger Commissionären vor, es erwartet, daß man herbeispringt, um es bequem heraus zu heben. Wagenlenker, Buchhalter, Handknechte, Lehrlinge umgeben das Cabriolet; Alles blickt freundlich, die Hände werden mit Seligkeit gerieben, denn es handelt sich um Tausende von Exemplaren und um eben so viel Thaler. / Bossange père ist stolz auf seine Erfindung, man sagte mir, daß er sich oft mit Napoleon vergliche, weil er eine unzertrennliche Alliance zwischen Deutschland und Frankreich hervorgebracht hätte. La librairie en Allemagne - pflegt er zu sagen - n'était jusqualors qu'une chimaire; moi j'étais le premier à montrer ce que c'est que davoir une idée. Mon magazin était une idée, mais une idée - vérité. / Der stolze Mann sagte nicht zu viel, denn es handelte sich um eine Wahrheit von 50.000 Exemplaren [...], um eine Wahrheit, welche sich Pferde und Wagen hatte anschaffen können." (LitIndWWW, 4,22-5,23) Wie eng sich dieses Porträt des 'literarischen Industriellen' mit Gutzkows Wunschvorstellung der reüssierenden zeitgenössischen 'jungen' Literatur berührt, geht aus seiner Besprechung von August Lewalds "Panorama von München" hervor, ebenfalls in die Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur aufgenommen. Dort ist von der "bürgerlichen Noblesse" der neuesten Literatur die Rede; die Literatur 'antichambriere' nicht mehr bei adligen Mäzenen, sondern könne sich "einen Gig und zwei Fuchsblessen halten, eine Loge in der großen Oper auf das ganze Jahr bezahlen" und sei alles in allem "aus den Schulden heraus, und au comptant gekommen. Der arme Poet Kindlein und die Dachstube ist jetzt eine Chimäre." (BnL, Bd 1, S. 307) Lewalds München-Panorama, das diesen Durchbruch zu 'weltliterarischem' Status der nachklassischen und nachromantischen deutschen Literatur verkörpern soll, ist zwar nicht illustriert, stellt jedoch das neue Paradigma eines visuellen Mediums für die Literatur auf eklatante Weise bereits im Titel zur Schau. Gutzkows Vergleiche Lewalds mit einem weltmännischen Dandy, der sich zugleich als scharfer Beobachter und Maler zeitgenössischen Lebens betätigt, nimmt Baudelaires Porträt des Zeichners Constantin Guys im "Peintre de la vie moderne" vorweg (publiziert 1863), aus dem wiederum Benjamin zentrale Charakteristika seines Flaneur-Typus entlehnt. Die Figur des Zeichners, welcher mit den und für die neuen visuellen Massenmedien arbeitet, steht also in enger Nachbarschaft zu einer Ikone der Moderne. Guys war zeitweise Mitarbeiter der 1842 gegründeten "Illustrated London News"; Lewald dagegen glänzte als Skizzierer in Worten und stand als Herausgeber der "Europa" auf der Höhe der Entwicklung, die eine illustrierte Zeitschrift für gehobene Ansprüche in den dreißiger Jahren erreichen konnte.
Gutzkow selbst erkannte und pries die Vorzüge von Lieferungswerken und drängte seine Verleger zu augenfälligen Anzeigen und illustrierten Einbänden für seine eigenen Werke (vgl. Haug, S. 398-404). "Die Zeitgenossen" erschienen 1837 in zwölf Heften, allerdings bis auf die literarischen Charakterskizzen des angeblichen Autors Bulwer nicht illustriert (zur Skizzentechnik dieses Werks: ZgWWW, Globalkommentar 6.1.3). In seinem Vortrag "Naturgeschichte der deutschen Kameele" vor der Frankfurter Museumsgesellschaft (1835) bezieht sich Gutzkow humoristisch auf Lorenz Okens "Allgemeine Naturgeschichte für alle Stände", die als illustriertes Lieferungswerk 1833-1841 erschien und laut Verlagswerbung gerade wegen der Kupferstich-Abbildungen ein unvergleichlich "instruktives, im Verhältniß der schönen Ausstattung so außerordentlich wohlfeiles" Werk darstellte (Oken, Bd 2, nach S. 386). Gutzkow besprach dieses monumentale Serienwerk dann im "Phönix" positiv (unter dem Titel "Werke der Industrie" im "Literatur-Blatt" vom 13. Juni 1835). Sein Vortrag zur "Naturgeschichte der deutschen Kameele" sollte als quasi sozialwissenschaftliche "Monographie" des Bildungsphilisters auch einen wesentlichen "Beitrag zu Okens Naturgeschichte" in sieben Bänden liefern (NatKamWWW, 6,17-18). Es ist jedoch bemerkenswert, dass trotz Gutzkows genauer und zum Teil faszinierter Registrierung illustrierter Druckwerke keine seiner Zeitschriften, Romane oder sonstigen Werke mit Abbildungen erschienen. (Mit den "Rittern vom Geiste", deren erste zwei Bücher zunächst im "Literarisch-artistischen Beiblatt" der "Deutschen Allgemeinen Zeitung" von Brockhaus veröffentlicht wurden, machte er 1850 immerhin einen Vorstoß zum Fortsetzungsroman.) Das Lesepublikum wünschte sich offensichtlich Bilder zu den Romanen, wie aus der Tatsache hervorgeht, dass Rezensionen der "Ritter" in der "Illustrirten Zeitung" Webers mit Holzstichen von Friedrich Pecht erschienen (Rasch 14/29.51.10.04) und "W. Wegener in Dresden" eine "Originalzeichnung" zum "Zauberer von Rom" in der "Gartenlaube" publizieren ließ (Rasch 14/34.59.08.1). Gutzkow hielt wohl nichts von einer Bebilderung seiner Romane, da sie, wie er angab, der visuellen Phantasie entsprangen, also daher vielleicht in seinen Augen keiner zusätzlichen graphischen Darstellung bedurften. Im Vorwort zur zweiten Auflage des "Zauberers von Rom" schreibt er: "Ist ein Autor ganz von der Sache erfüllt und spinnt sein Werk sozusagen mit träumerischer Intuition aus Bildern heraus, die dem geschlossenen Auge innen aufgegangen, so folgt die Feder, die Merkmale einer solchen Productionsweise annehmend, nur mechanisch dem tastenden Fortschreiten in Lebensverhältnissen und Situationen, die größtentheils neu, dem allgemeinen Publikum nur unter Schwierigkeiten zugänglich zu machen waren." (S. XIII-XIV) Der Text illustriert hier Bilder der 'träumerischen Intuition'; ein Hinweis darauf, wie unzertrennlich Gutzkows Ästhetik mit der des Bildes verschmolzen ist, das 'Neues' für ein 'allgemeines Lesepublikum' "zugänglich" macht.
Quellen #
Honoré de Balzac: Prospectus [de La Caricature]. In: OEuvres Diverses, Bd 2, hg. von Roland Chollet und René Guise, Paris 1996, S. 795-798.
Karl Gutzkow: Naturgeschichte der deutschen Kameele. (Vorgetragen im Frankfurter Museum.) In: Phönix. Frühlings-Zeitung für Deutschland (Frankfurt/M.), Nr 49, Donnerstag, 26. Februar 1835, S. 193-195 (Rasch 3.35.02.26).
[Karl Gutzkow]: Werke der Industrie. In: Phönix. Literatur-Blatt. Frankfurt/M. Nr 23, 13. Juni 1835, S. 549-551 (Rasch 3.35.06.13.1).
Karl Gutzkow: Literarische Industrie. In: Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur. Stuttgart: Balz, 1836, Bd 1, S. 1-22 (Rasch 2.13.1.2).
Karl Gutzkow: Roman. In: Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur. Stuttgart: Balz, 1836, Bd 1, S. 220-359, bes. S. 307-311 (Rasch 2.13.1.7).
[Karl Gutzkow:] Illustration und Volksverdummung. In: Unterhaltungen am häuslichen Herd. Leipzig. N.F. Bd 5, Nr 53 [1. Oktober 1860], S. 846-848 (Rasch 3.60.10.01).
Lorenz Oken: Allgemeine Naturgeschichte für alle Stände. Stuttgart: Hofmann'sche Verlagsbuchhandlung, 1833-1841. Verlagsankündigung der Abbildungen in Bd 2 (1839), nach S. 386.
Forschungsliteratur (Auswahl)#
Remi Blachon: La Gravure en bois au XIXe siècle. L'âge du bois debout. Paris: Les éditions de l'amateur, 2001.
Pierre Bouttier: Postface. In: Les Français peints par eux-mêmes. Encyclopédie morale du dix-neuvième siècle publiée par Léon Curmer. Hg. von P. Bouttier. Bd. 1. Paris: Omnibus, 2003. S. 1051-1103.
Roland Chollet: Balzac Journaliste. Le tournant de 1830. Paris: Klincksiek, 1983.
Celina Fox: Graphic Journalism in England During the 1830s and 1840s. New York, London: Garland, 1988 (Garland Series of Outstanding Theses in the Arts from British Universities).
Hartwig Gebhardt: Die Pfennig-Magazine und ihre Bilder. Zur Geschichte und Funktion eines illustrierten Massenmediums in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Rolf Wilhelm Brednich, Andreas Hartmann (Hgg.): Populäre Bildmedien. Vorträge des 2. Symposions für ethnologische Bildforschung. Rheinhausen bei Göttingen 1986, Hamburg 1989. S. 19-41.
Hartwig Gebhardt: Illustrierte Zeitschriften in Deutschland am Ende des 19. Jahrhunderts. Zur Geschichte einer wenig erforschten Pressegattung. In: Buchhandelsgeschichte 2 (1983), S. B41-B65.
Eva-Maria Hanebutt-Benz: Studien zum deutschen Holzstich im 19. Jahrhundert. Frankfurt/M.: Buchhändler-Vereinigung, 1984.
Liesel Hartenstein: Die Geschichte des Kladderadatsch. In: Facsimile Querschnitt durch den Kladderadatsch. Hg. v. L. Hartenstein. München, Bern, Wien: Scherz, 1965. S. 7-16. (Facsimile Querschnitte durch alte Zeitungen und Zeitschriften, Bd. 5).
Christine Haug: "Populäres auch populär vertreiben [...]" - Karl Gutzkows Vorschläge zur Reform des Buchhandels und zur Beschleunigung des Buchabsatzes. Ein Beitrag zur Geschichte der Buchdistribution und Buchwerbung im 19. Jahrhundert. In: Gustav Frank, Detlev Kopp (Hgg.): Gutzkow lesen! Beiträge zur Internationalen Konferenz des Forums Vormärz Forschung vom 18. bis 20. September 2000 in Berlin. Bielefeld: Aisthesis, 2001. S. 385-416.
Christopher Hibbert: The Illustrated London News. Social History of Victorian Britain. London 1976.
Jacob Kainen: Why Bewick succeeded: A note in the history of wood engraving. In: United States National Museum Bulletin. Washington. Nr. 218, Paper 11, 1959.
Johanna Köster: Le Magasin pittoresque. Zur Industrialisierung von Bild und Bildung in der französischen Presse des 19. Jahrhunderts (1831-1890). Diss. Universität Mannheim (Microfiche) 1997.
Hans Ludwig: Theodor Hosemann. Berlin: Eulenspiegel, 1987. (Klassiker der Karikatur, Bd. 9)
Alice Mackrell: An Illustrated History of Fashion. 500 Years of Fashion Illustration. London: Batsford, 1997.
Michel Melot: Le Texte et l'image. In: Histoire de l'édition francaise. 4 Bde. Paris: Promodis, 1985. Bd. 3: Le Temps des éditeurs. Du Romantisme à la Belle Époque. S. 286-311.
Günter Oesterle: Die Schule minutiösen Sehens und Lesens im Vormärz. Zur Rafinesse des Andeutens im Wechselspiel von Bild und Text. In: Helmut Koopmann, Martina Lauster (Hgg.): Vormärzliteratur in europäischer Perspektive I. Öffentlichkeit und nationale Identität. Bielefeld: Aisthesis, 1996. S. 293-305.
Karl Riha, Gerhard Rudolph: Nachwort. Die "Düsseldorfer Monathefte" im Kontext der europäischen und deutschen Karikatur. / Die "Düsseldorfer Monathefte" in der Geschichte der Düsseldorfer Kunst. In: Düsseldorfer Monathefte. 1. Band, 2. Band. (1847-1849). Unveränderter Nachdruck, Düsseldorf: Schwann, 1979. S. 471- 482.
Hans Rothfels: Einleitung. In: Facsimile Querschnitt durch den Kladderadatsch. Hg. v. Liesel Hartenstein. München, Bern, Wien: Scherz, 1965. S. 4-6. (Facsimile Querschnitte durch alte Zeitungen und Zeitschriften, Bd. 5).
Heidegert Schmid Noerr: Die illustrierte Presse. In: Kunst der bürgerlichen Revolution von 1830 bis 1848/49. Ausstellungskatalog der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst Berlin, Dezember 1972. S. 151-157.
Joachim Wachtel: Geschichte der Leipziger "Illustrirten Zeitung". In: Facsimile Querschnitt durch die Leipziger Illustrirte Zeitung. Hg. von J. Wachtel. München, Bern, Wien: Scherz, 1969. S. 4-19. (Facsimile Querschnitte durch Zeitungen und Zeitschriften, Bd. 15).
Geoffrey Wakeman: Victorian Book Illustration. The Technical Revolution. Newton Abbot 1973.
Jean Watelet: La Presse illustrée. In: Histoire de l'édition francaise. 4 Bde. Paris: Promodis, 1985. Bd. 3: Le Temps des éditeurs. Du Romantisme à la Belle Époque. S. 328-341.
Wolfgang Weber: Johann Jakob Weber. Der Begründer der illustrierten Presse in Deutschland. Leipzig: Lehmstedt, 2003.
Bernd Weise: Aktuelle Nachrichtenbilder "nach Photographien" in der deutschen illustrierten Presse der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Charles Grivel, André Gunthert, Bernd Stiegler (Hgg.): Die Eroberung der Bilder. Photographie in Buch und Presse (1816-1914). München 2003. S. 62-101.
Karl Wilke: Die Leipziger Illustrirte Zeitung und ihre Geschichte. In: Zeitschrift für Bücherfreunde. Monatshefte für Bibliophilie und verwandte Interessen. 5. Jg., Bd 1, 1901/1902, S. 188-196 und 228-236.
Eva Zahn: Die Geschichte der Fliegenden Blätter. In: Facsimile Querschnitt durch die Fliegenden Bätter. Hg. von E. Zahn, München, Bern, Wien: Scherz, 1966. S. 8-18.
(Martina Lauster, Exeter)