Wir stellen die Gutzkow Gesamtausgabe zur Zeit auf neue technische Beine. Es kann an einzelnen Stellen noch zu kleinen Problemen kommen.

Briefe aus Paris. Von Ludwig Börne#

Metadaten#

Herausgeber
  1. Wolfgang Rasch
Fassung
1.0
Letzte Bearbeitung
2008

Text#

Man wird das Buch verbieten oder hat es schon verboten, denn wenn man auch die Freiheitsschwärmer Narren nennt, so gibt man ihnen doch nicht einmal die Narrenfreiheit. Arg freilich hat es der Börne wieder einmal gemacht, ärger als je zuvor; wie es die Tollen pflegen, wenn sie einmal dem Tollhause entspringen. Diese Briefe sind durchaus, wie es ehemals in Warschau hieß und wahrscheinlich jezt wieder heißt "formwidrig," oder wie man in Berlin noch kleiderkünstlerischer zu sagen pflegt "unangemessen." Der selige Lichtenberg würde sagen: "es sind majestätsverbrecherische Gedanken, aber in beneidenswürdigen Ausdrücken." Das alles ist vielleicht zu wenig gesagt. Göttlich grob, hat einmal Friedrich Schlegel gesagt. Auch das ist zu wenig. Deutsch grob, wollen wir sagen, um Börne zu ärgern. Warum nicht deutsch grob? Der Franzose ist in seinem bittersten Haß noch artig zum küssen gegen Börne, selbst der vierschrötige Engelländer läßt mit sich reden, Cobbet raisonnirt bescheiden und ist ein guter Mann gegen Börne. So grob wie Börne kann nur ein Deutscher seyn, weil es wirklich nur ein Deutscher ist. Er selber sagt einmal: das ist nicht mehr schlecht, erbärmlich, niederträchtig - das alles wäre zu wenig - es ist deutsch! warum sollen wir nicht auch von ihm sagen, das ist nicht Arznei, ist nicht Eisen, nicht Feuer - es ist deutsch gesprochen!

Was sind wir doch für ein wunderliches Volk. Die stärkste Sprache in der Welt nennt man die deutsche, und die größte Dummheit in der Welt heißt ebenfalls sprüchwörtlich eine deutsche. Wir sind aber nicht nur hoch oder niedrig, sondern auch mittelmäßig.

Mittelmäßig? Ein verdammtes Wort. Wüßtest du[,] o Leser, wie oft es mir centnerschwer aufs Herz fällt, als Schriftsteller unter Censur an der deutschen Mittelmäßigkeit mitzuarbeiten, du würdest mir um meines Schmerzes willen meine, deine eigne Mittelmäßigkeit verzeihen. Schreib' einer in einem deutschen Journal. Riesengedanken springen aus der Stirne, aber die Censurscheere schneidet sie zu mittelmäßigen Geschöpfen zurecht, nachher kommen auch nur noch Mittelmäßigkeiten aus der Stirne und die Riesen bleiben drin im Kopf und fangen aus Langerweile den Titanenkampf unter sich selbst an, schlagen sich todt, fressen sich. Es ist zum Tollwerden, und 432 Börne hat den schönen Muth, endlich wirklich toll zu werden.

Aechte Tollheit tollt nur gegen sich selbst. Wenn in Dantes Hölle ein Todtenkopf den andern beißt, so beißt ein ächter Wahnsinniger seinen eignen Kopf. Darum wird Börnes glühender Patriotismus zur Blasphemie gegen das heilige Vaterland und Pygmalion, der flehend vor der steinernen Geliebten kniete, daß sie endlich aufwache, wird nun, da sie lebendig ist, in der Tollheit zum Irokesen und schneidet Stück für Stück das blühende Leben herunter. So schrieb Börne einst gegen das schlafende Vaterland, und so schreibt er jezt gegen das erwachte. Wie nach Dschamis unübertrefflicher Dichtung der edle Medschnun wahnsinnig wurde, weil er von der reizenden Leïla getrennt war, und wie er nachher im Wahnsinn, da man die Geliebte ihm mit königlicher Pracht geschmückt als Braut zuführte, sie nicht wieder erkannte, so erkennt Börne im Gram über das verlorne Vaterland das wiedergefundne nicht wieder.

Ich will mich, Börne gegenüber nicht in die Brust werfen und ihm eine Strafpredigt halten. Auch werden es wahrscheinlich wenig Andre thun, denn die Zeiten sind nicht mehr, wo, wenn man sich einen Scherz über die deutschen Philister erlaubt, gleich ganze Schaaren derselben mit dummen Glotzaugen sich hervorthaten und den Franzosenfreund zur Thür hinauswarfen. Das spricht eben am stärksten gegen Börne, daß wir wirklich klüger und besser geworden sind, es unter tausenderlei Beschränkungen, es mitten in der Mittelmäßigkeit geworden sind. Wir haben Ereignisse in Deutschland erlebt, die nicht mehr lächerlich sind, und patriotische Bestrebungen, die nicht mehr bloße Spielereien und Affektationen sind. Dem schrecklichen Ernst der Zeit hat eine Stimme in Deutschland männlich geantwortet, und wir werden sie noch lauter reden hören.

Wenn nun Börne uns Deutschen vielfach Unrecht thut, indem er gar zu wenig an uns glaubt, so wollen wir uns hüten, ihm Unrecht zu thun, und Aeußerungen des Humors, der momentanen Stimmung nicht für mehr nehmen, als sie sind. Der Sarkasmus ehrt oft den Gegenstand, indem er ihn beschimpft. Das beleidigte Herz rächt sich an der Geliebten durch Bitterkeiten, die immer nur die Schaale des süßesten Kerns sind. Eifersucht sezt die Geliebte herunter und bringt einer Dritten übertriebene Huldigungen dar. So ists, wie mit jeder gekränkten Liebe, auch mit der gekränkten Vaterlandsliebe. Diese Entschuldigung gilt übrigens, wie der Tadel selbst, nur der Herabwürdigung des deutschen Nationalcharakters im Allgemeinen; im Einzelnen, wo Börnes Satyre bestimmte Dinge und Verhältnisse trifft, hat er nur zu Recht, und da die Censur dies wahrscheinlich durch Verbieten und Streichen der betreffenden Stellen anerkennen wird, so mag sich der Leser hier mit zahmen Auszügen begnügen.

Zuerst einige Schmeicheleien, wie sie Börne so gern den Deutschen sagt. Aus Darmstadt: "Die Bürger sind unzufrieden, aber nicht mit der Regierung, sondern mit den Liberalen der Kammer, die dem Großherzoge seine Schulden nicht bezahlen wollen. Das ist deutsches Volksmurren, das laß ich mir gefallen; darin ist Rossinische Melodie. - Die Theaterwache in Darmstadt war gewiß fünfzig Mann stark. Ich glaube auf je zwei Zuschauer war ein Soldat gerechnet. Noch viel zu wenig in solcher tollen Zeit. Und diesen Morgen um sechs Uhr zogen einige Schwadronen Reiter an meinem Fenster vorüber und trompeteten mich, und alle Kinder, und alle Greisen, und alle Kranken, und alle süßträumenden Mädchen aus dem Schlafe. Das geschieht wohl jeden Tag. Diese kleinen deutschen Fürsten in ihren Nußschaalresidenzen sind gerüstet und gestachelt wie die wilden Kastanien. Wie froh bin ich, daß ich aus dem Lande gehe. - Der Bundestag, wie ich höre, will in Deutschland die Preßfreiheit beschränken. Wie sie das aber anfangen wollen, möchte ich wissen. Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren. - In Zeit von zehn Jahren werden die Freunde der politischen Alterthümer aus allen Ländern der Erde nach Deutschland reisen, um da ihre Kunstliebhaberei zu befriedigen. Ich sehe sie schon mit ihren Antiquités de la l'Allemagne in der Hand, Brille auf der Nase und Notizbuch in der Tasche, durch unsere Städte wandern, und unsre Gerichtsordnung, unsre Stockschläge, unsre Censur, unsre Mauthen, unsern Adelsstolz, unsre Bürgerdemuth, unsre allerhöchsten und allerniedrigsten Personen, unsre Zünfte, unsern Judenzwang, unsre Bauernnoth, begucken, betasten, ausmessen, beschwatzen, uns armen Teufeln ein Trinkgeld in die Hand stecken, und dann fortgehen und von unserem Elende Beschreibungen mit Kupferstichen herausgeben. Unglückliches Volk!... wird ein Beduine mit stolzem Mitleide ausrufen. - Gestern las ich in einer deutschen Zeitung: in Selters hätte das Landvolk auch eine kleine Revolution haben wollen und Unruhen angestiftet, und man hätte sogleich Truppen hingeschickt. Ich erwarte nun, daß der Bundestag den Selterswasserbrunnen, die wahrscheinliche Quelle der Nassauer Revolution, verschütten lassen wird. Das käme mir gar nicht lächerlicher vor, als die bisherige Hülfe, die man gegen Revolutionen angewendet, Soldaten, Gewalt, Aderlassen, das sind ihre einzigen Heilmittel. Es einmal auf eine andere Art zu versuchen, fällt ihnen nicht bei. - Es ist doch ein schönes Land, wo, wie ich gestern in deutschen 433 Zeitungen gelesen, man sich auf der Straße und in den Kasinos bang und freudig einander fragt, wird der Herzog von Koburg wieder heirathen, oder nicht? und man schweigt und lächelt - und wo der Staatsrath Niebuhr in Bonn, da er gedruckt gelesen, er habe früher in Rom mit de Potter Umgang gehabt, mit Händen und Füßen gegen diese Lästerung zappelt, wie ein Kind gegen das kalte Waschen, und behauptet auf Ehre, er habe diesen Unheilstifter nie mit Fingern berührt! - So einem deutschen Polizeikönig muß in London und Paris zu Muthe seyn, wie einem Nordländer in Neapel. Die Freiheit hat wohl ihre rauhen Tage; da sie aber selten sind, ist nicht gesorgt für Kamin und Pelz. Und jezt spricht der Russe, wäre ich nur zu Hause, da ist es wärmer und besser und der Tölpel macht sich lustig über die schöne Natur im Süden!... - Daß die Deutschen ihren Fürsten und Sängerinnen die Pferde ausspannen, fällt mir nicht auf. Sind sie besser als Pferde? Sie werden sehen, die guten Hessen ziehen auch noch die Gräfin Reichenbach von Frankfurt bis nach Kassel. Eine solche Konstitution, wie man den Hessen gegeben, hätten sich die Pferde nicht gefallen lassen. Mit den guten Deutschen wird noch schlimmer verfahren als mit dem Heiland. Dieser mußte zwar auch das Kreuz selbst tragen, woran man ihn gepeinigt: aber es selbst auch zimmern, wenigstens das mußte er nicht. Ich kann in Paris Französisch lernen; aber, guter Gott! wie lerne ich Deutsch vergessen? Der Mensch hat überhaupt viel Deutsches an sich. Heute las ich: in England hat die französische Regierung 500,000 Flinten bestellt, die russische 600,000, die preußische 900,000. Werden damit anderthalb Millionen Mörder bewaffnet, die, drei bis vier Fürsten einen Spaß zu machen, sich wechselseitig die Eingeweide aus dem Leibe reißen. Diese Flinten kosten 38 Millionen Franken, und die närrischen Völker dürfen nicht eher sterben, als bis sie ihre eigenen Leichenkosten vorausbezahlt! Ich möchte diesen Sommer in einem stillen Thale wohnen, aber so still, so heimlich, so abgelegen, daß kein Mensch, keine Zeitung hinkommt, und im Oktober wieder hinaustreten in die Welt und sehen, wie es aussieht. Vielleicht würde ich da nicht mehr erkennen, ob ich im Monde oder auf der Erde bin. - Was mich gegen die deutsche Censur am Meisten aufbringt, ist nicht, daß sie das Bekanntwerden der Wahrheit verhindert - diese macht sich früher oder später doch Luft, - sondern daß sie die Lüge unterdrückt, die nur einen armen kurzen Tag zu leben hat, und einmal todt, vergessen ist. Am interessantesten, und merken Sie sich das, sind die hiesigen Blätter immer am Montage; denn da Sonntag keine Kammersitzung ist, bleibt den Tag darauf den Zeitungen kein anderes Mittel, ihre Seiten zu füllen, als so viel Lügen als möglich herbei zu schaffen. Wie angenehm beschäftigt das die Einbildungskraft! Und was liegt daran! Was heißt Lüge? Kann einer in unsern Tagen etwas ersinnen, was nicht den Tag darauf wahr werden kann! Es gibt in der Politik nur eine mögliche Lüge: Der deutsche Bund hat die Preßfreiheit beschlossen."

Doch das sind alles schwache Stellen. Unter den starken will ich nur, wenn es Dame Censur erlaubt, eine einzige anführen. Börne sagt, wenn die Deutschen zum zweitenmal einen Kreuzzug gegen Frankreich unternehmen, dann wird der ganze Himmel lachen und Gott selbst wird lachen und in der besten Laune französisch zu sprechen anfangen und sagen: quelle grosse bête que ce peuple allemand!

Allein Börne läßt die Franzosen nicht leer ausgehn: "Paris hat jezt wirklich den Katzenjammer vom Schmause im Juli, und bei mir thut der Eckel vom Zuschauen dieselbe Wirkung, wie bei den Andern das Trinken. Die Regierung ist jezt ganz in den Händen von Mechanikern, die den Staat als eine Uhr betrachten, wozu sie den Schlüssel haben, und die gar nichts wissen von einem Leben, das sich selbst aufzieht. Das Herz soll schlagen zur bestimmten Minute, und das nennen sie Ordnung! es ist alles wie bei uns, nur daß bei uns Werk und Zifferblatt bedeckt sind, hier aber sich in einem gläsernen Gehäuse befinden, das alle Bewegungen sehen läßt; der Gang ist der nämliche. - Hier gehet es schlecht, man hat die Suppe kalt werden lassen, und dabei rufen die Väter des Volks demselben, wie einem Kinde, noch ganz ironisch zu: verbrenne dich nicht! Das gute Volk hat sich mit Blut und Schweiß die Freiheit erworben, und die spitzbübische Kammer, die in Pantoffeln in ihrem Komptoir saß, sagte ihm: Ihr wißt mit dem Gelde doch nicht umzugehen, wir wollen es Euch verwalten. - Kein Kind fürchtet so sehr den Schornsteinfeger als Philipp den Nikolaus fürchtet. Die Regierung wird alle Tage erbärmlicher; es macht einen ganz irre. Man weiß nicht mehr, wächst die Zeit oder wird die Regierung kleiner; das Mißverhältnis zwischen beiden steigt mit jeder Stunde. Jezt, da der Krieg immer wahrscheinlicher, immer näher kommt; jezt, da die Begeisterung des Volkes allein Frankreich retten kann, fürchtet man dieses Feuer wie ein verzweifelter Hausvater, und gießt halb todt von Schrecken alles Wasser hinein, was nur zu haben ist. In ihrer Angst spucken sie in den Brand. Man will ein friedliches, ein unglaubliches Ministerium bilden. Wenn der Jude Rothschild König wäre, und sein Ministerium aus Wechselmäcklern bildete, es könnte nicht niederträchtiger regiert werden. Ich gebe dem Orleans keine zehn Sous für seine Krone."

484 Erfreulicher ist, was Börne über Benjamin Constant, Lafayette, Talleyrand sagt: "Wissen Sie schon, daß Benjamin Constant gestorben ist? Morgen wird er begraben. Kränklich war er schon seit mehreren Jahren. Der Kampf für die Freiheit hielt ihn aufrecht, dem Siege unterlag er. Der Gram getäuschter Hoffnung hat sein Leben verkürzt; die Revolution hat ihm nicht Wort gehalten; die neue Regierung vernachläßigte den, der so viel gethan, die alte zu stürzen. Benjamin Constant hatte unter allen Liberalen die reinste Gesinnung, und er war der gediegenste Redner. Es gab andere, die glänzender sprachen, aber es war Alles doch nur vergoldetes Kupfer. Er hatte Recht, durch und durch. Er hatte einen deutschen Kopf und ein französisches Herz. - Der einzige schöne Charakter der neuern Zeit ist und bleibt doch Lafayette. Er ist die altgewordene Schwärmerei, wie sie nie, nicht einmal gemalt worden ist. Er ist bald 80 Jahre alt, hat alle Täuschungen, alle Verräthereien, Heuchelei, Gewaltthätigkeit jeder Art erfahren - und noch glaubt er an Tugend, Wahrheit, Freiheit und Recht! Solche Menschen beweisen besser, daß es einen Gott gibt, als das alte und neue Testament und der Koran zusammen. Noch heute, zwar von vielen geliebt, von allen geachtet, aber auch von allen verkannt, wird er nur von seinen Feinden nicht betrogen, die ihren Haß offen aussprechen; aber von seinen Freunden gebraucht, mißbraucht, getäuscht und oft verspottet. Er ist wie ein Gottesbild im Tempel, in dessen Namen heuchlerische Priester fordern, wonach ihnen selbst gelüstet, und die heimlich das gläubige Volk und seinen Gott auslachen. Er aber gehet seinen Weg unveränderlich wie die Sonne, und unbekümmert, ob die guten sein Licht zu guten Handlungen oder die Bösen zu schlechten gebrauchen. - Man hat Talleyrand vorgeworfen, er habe nach und nach alle Partheien, alle Regierungen verrathen. Es ist wahr, er gieng von Ludwig XVI. zur Republik, von dieser zum Direktorium, von diesem zum Konsulat, von diesem zu Napoleon, von diesem zu den Bourbonen, von diesen zu Orleans über, und es könnte wohl noch kommen, ehe er stirbt, daß er wieder von Louis Philipp zur Republik übergienge. Aber verrathen hat er diese Alle nicht, er hat sie nur verlassen, als sie todt waren. Er saß am Krankenbette jeder Zeit, jeder Regierung, hatte immer die Finger auf dem Pulse, und merkte es zuerst, wenn ihr das Herz ausgeschlagen. Dann eilte er vom Todten zum Erben; die Andern aber dienten noch eine kurze Zeit der Leiche fort. Ist das Verrath? Ist Talleyrand darum schlechter, weil er klüger ist als Andere, weil fester, und sich der Nothwendigkeit unterwirft? Die Treue der Andern währte auch nicht länger, nur ihre Täuschung währte länger. Auf Talleyrands Stimme habe ich immer gehorcht, wie auf die Entscheidung des Schicksals. Ich erinnere mich noch, wie ich erschrack, als nach der Rückkehr Napoleons von Elba Talleyrand Ludwig XVIII. treu geblieben. Das verkündigte mir Napoleons Untergang. Ich freute mich, als er sich für Orleans erklärte; ich sah daraus, daß die Bourbons geendet. Ich möchte diesen Mann in meinem Zimmer haben; ich stellte ihn wie einen Barometer an die Wand, und ohne eine Zeitung zu lesen, ohne das Fenster zu öffnen, wollte ich jeden Tag wissen, welche Witterung in der Welt ist."

Ueber unsern Luther sagt Börne: "Ach, Luther! - wie unglücklich hat der uns gemacht! Er nahm uns das Herz und gab uns Logik; er nahm uns den Glauben und gab uns das Wissen; er lehrte uns rechnen und nahm uns den Muth, der nicht zählet. Er hat uns die Freiheit, dreihundert Jahre ehe sie fällig war, ausbezahlt und der spitzbübische Diskonto verzehrte fast das ganze Kapital. Und das Wenige, was er uns gab, zahlte er wie ein ächter haarloser deutscher Buchhändler in Büchern aus, und wenn wir jezt, wo jedes Volk bezahlt wird, fragen - wo ist unsre Freiheit? antwortet man: Ihr habt sie schon lange - da ist die Bibel."

Ueber Goethe ergießt sich Börne in den bittersten Tadel. Er citirt Stellen aus dem Briefe eines Oesterreichers, die ungefähr das Aergste sind, was jemals gegen Goethe gesagt worden ist. Börne fügt dann hinzu: "Dieser Mann eines Jahrhunderts hat eine ungeheure hindernde Kraft; er ist ein grauer Staar in deutschen Augen, wenig, nichts, ein bischen Horn - aber beseitigt das und eine ganze Welt wird offenbar. Seit ich fühle, habe ich Goethe gehaßt, und seit ich denke, weiß ich warum."

Von einer Beseitigung Goethes kann übrigens nur in dem Sinn die Rede seyn, in welchem ein Jahrhundert das andre, ein Zeitgeist den andern zurückdrängt. Aus der Geschichte der Literatur läßt sich so wenig als aus der Weltgeschichte ein Blatt herausreißen, es kommt nur darauf an, jedes Blatt recht zu verstehen. Goethe ist nicht der Schöpfer, sondern das Geschöpf seiner Zeit, die höchste Sublimation, wenn man will, die Gipfelkrone, die oberste Blume seiner Zeit. Diese Zeit sinkt nun langsam am Horizont hinab und nur, weil Goethe auf ihrem Gipfel steht, scheint er so lange noch auf derselben Stelle zu stehn, während doch der Boden unter ihm beständig weicht. Er hindert den Untergang seiner Zeit nicht, er scheint nur bestimmt, ihn ganz abzuwarten und der lezte dabei zu seyn, wie am untergehenden Schiff die bunte Flagge noch im lezten Augenblick vorwärts weht, während die wirkliche Richtung des Schiffs unterwärts geht.

(Der Beschluß folgt.)

485 Tagesgeschichte. Briefe aus Paris, 1830-1831. Von Ludwig Börne. Zwei Theile. Hamburg, Hoffmann und Campe, 1832.

(Beschluß.)

Indem Börne von den französischen Gelehrten spricht, stimmt er folgende tragikomische Klagelieder an: "Heute ist das Ministerium geändert, wie Sie aus den Zeitungen erfahren werden. Thiers, der Verfasser einer Geschichte der französischen Revolution, wird Unter-Staats-Sekretair der Finanzen, also ungefähr so viel als Minister. Ich kannte ihn früher. Er ist kaum dreißig Jahre alt, kam zur Zeit als wir in Paris waren mit seinem Landsmann Mignet hierher, ganz fremd und unbeholfen. Ein Deutscher meiner Bekannten nahm sich der jungen Leute an und wies sie zurecht, und jezt ist der eine Staatsrath, der andre Minister! Was man hier sein Glück macht! Möchte man nicht vor Aerger ein geheimer Hofrath werden! Es ist gerade so als wäre der Heine Minister geworden oder der Menzel oder ich. Und was sind wir? - Ein armer deutscher Gelehrter wird gelb vor Aerger und Neid, wenn er sieht, wie es den französischen Schriftstellern so gut geht. Außer dem vielen Gelde, das sie durch ihre Werke verdienen, werden sie noch obendrein von der Regierung angestellt. Stendhal ist eben im Begriff nach Triest abzureisen, wo er eine Stelle als Konsul erhalten. Vitet schreibt sogenannte historische Romane, die sehr schön sind: Henri III., les baricades, les états de Blois. Der hat jezt eine Anstellung bekommen, um die ich ihn beneide. Er ist conservateur des monuments d'antiquité de la France. Diese Stelle bestand früher gar nicht und der Minister Guizot, der Vitet protegirte, hat sie erst für ihn geschaffen. Sein Geschäft bestehet darin, daß er jährlich ein Paarmal durch Frankreich reist und die alten Bauwerke aus der römischen Zeit und aus dem Mittelalter, Tempel, Wasserleitungen, Amphitheater, Kirchen besichtigt und darauf sieht, daß sie nicht verfallen. Dafür hat er einen jährlichen Gehalt von funfzehn tausend Franken und die Reisekosten werden besonders bezahlt. Gäbe es eine angenehmere Stelle als diese für einen Menschen wie ich bin, der faul ist und gern reist? Möchte man sich nicht den Kopf an die Wand stoßen, daß man ein Deutscher ist, der aus seiner Armuth und Niedrigkeit nicht heraus kommen kann? In Deutschland geschieht wohl manches für Kunst und Wissenschaft, aber für Künstler und Schriftsteller gar nichts. Hier vertheilt die Regierung jährlich Preise für die besten Werke der Male-486rei, der Bildhauerkunst, Lithographie, Musik und so für Alle. Der erste Preis besteht darin, daß der Gewinnende auf fünf Jahre lang jährlich 3000 Franken erhält, und dafür muß er diese Zeit in Rom zu seiner Ausbildung zubringen. Einem Deutschen würde dieses Müssen in Rom leben komisch klingen, denn er ist lieber in Rom als in Berlin, Karlsruhe. Aber Franzosen erscheint dieses oft als Zwang, denn sie verlassen Paris nicht gern. So hat die vorige Woche ein junger Mensch, Namens Berlioz, den ersten Preis der musikalischen Komposition erhalten. Ich kenne ihn, er gefällt mir, er siehet aus, wie ein Genie. Geschiehet je so etwas bei uns? Denken Sie an Beethoven. O! ich habe eine Wuth! Schicken Sie mir doch einmal eine Schachtel voll deutscher Erde, daß ich sie hinunter schlucke. Das ist ohnedies gut gegen Magensäure, und so kann ich das verfluchte Land doch wenigstens symbolisch vernichten und verschlingen."

Ich bin nicht Börnes Meinung. Ich sage vielmehr, Gott sey Dank, daß wir armen Capacitäten in Deutschland nicht nur berechtigt, sondern sogar gezwungen sind, die menschliche oder deutsche Uniform zu tragen, nicht aber die reuß-greiz-schleizische oder vaduzische. Man denke sich einmal Börne als Sr. Excellenz Herr Staatsrath Börne von Börnewitz, und Börne wird keinen Witz mehr haben. Wenn man, wie der große Minister Oxenstierna sagt, nicht einmal Weisheit zum Regieren braucht, wozu sollte man den Witz brauchen?

Nichts ist natürlicher, als die Vernachläßigung der guten Köpfe von Seiten des Staates unter Verhältnissen, wie sie gegenwärtig in Deutschland bestehn. Im Reiche des Genies lassen sich solche Mauthen nicht ziehen, wie sie durch Deutschland die Kreuz und Quer gezogen sind. Das geflügelte Genie taugt nicht zum Zöllner, man kann es für die engen kleinen Geschäfte und Interessen nicht brauchen. Das Genie ist immer ganz, und läßt sich nicht wie Deutschland in etliche und dreißig Theile theilen. Jedes deutsche Genie ist sein ganzes Leben hindurch in dem Fall, in welchem die Frau von Staël und Herr von Chateaubriand sich eine kurze Zeit befanden. Man sagte: Frankreich und Chateaubriand fehlen einander. So kann man sagen: Deutschland und seine guten Köpfe fehlen einander immer.

Um uns die politischen Bitterkeiten zu versüßen, erzählt Börne auch vieles von den Pariser Kunst- und Theaterherrlichkeiten. Höchst ergötzlich ist folgendes Portrait Paganinis, dessen Aehnlichkeit jeden, der den großen Geiger auf der G Saite gehört hat, frappiren muß: "Mit Worten kann ich Ihnen den Eindruck nicht schildern, den Paganini in seinem ersten Konzerte gemacht; ich könnte ihn nur auf seiner eigenen Geige nachspielen, wenn sie mein wäre. Es war eine göttliche, es war eine diabolische Begeisterung. Ich habe so etwas in meinem Leben nicht gesehen noch gehört. Dieses Volk ist verrückt und man wird es unter ihm. Sie horchten auf, daß ihnen der Athem vergieng, und das nothwendige Klopfen des Herzens störte sie und machte sie böse. Als er auf die Bühne trat, noch ehe er spielte, wurde er zum Willkommen mit einem donnernden Jubel empfangen. Und da hätten Sie diesen Todtfeind aller Tanzkunst sehen sollen, in der Verlegenheit seines Körpers. Er schwankte umher wie ein Betrunkener. Es gab seinen eigenen Beinen Fußtritte und stieß sie vor sich her. Die Arme schleuderte er bald himmelwärts bald zur Erde hinab; dann streckte er sie nach den Koulissen zu, und flehte Himmel, Erde und Menschen um Hülfe an in seiner großen Noth. Dann blieb er wieder stehen mit ausgebreiteten Armen und kreuzigte sich selbst. Er sperrte den Mund weit auf, und schien zu fragen: gilt das mir? Er war der prächtigste Tölpel, den die Natur erfinden kann, er war zum Malen. Himmlisch hat er gespielt." -

Mit der größten Bewunderung, die wenn sie Damen betrifft, auch immer zugleich Zärtlichkeit ist, spricht Börne von der seelenvollen Sängerin Malibran und von der, auch uns Deutschen wohlbekannten lieblichen Tänzerin Taglioni. Von der lezteren sagt er: "Besonders Flora entzückte mich. Eine bezaubernde Grazie, und eine Mäßigung in allen Bewegungen, bei so großer Beweglichkeit, die ich noch bei keiner Tänzerin gepaart gefunden. Sie umgaukelte sich selbst, und war zugleich Blume und Schmetterling. Sie bewegt sich eigentlich gar nicht, sie erhob sich nicht, senkte sich nicht, sie wurde herauf und herabgezogen, Luft und Erde stritten sich um ihren Besitz. "Wer ist diese Tänzerin?" - fragte ich meinen Nachbar in der Loge, einen Mann von fünfzig Jahren, der sehr vornehm aussah. Er sah mich mit Augen an - aber mit Augen - und antwortete nach einigen Athemzügen: mais... c'est mademoiselle Taglioni! Hätte ich den Mann zwanzig Jahre früher bei einer Parade auf dem Marsfelde gefragt: wer ist der kleine Mann dort zu Pferde, im grauen Ueberrock und mit dem kleinen Hute? ., mit nicht größern Augen hätte er mich angesehn, nicht mit größerer Verwunderung hätte er mir erwiedern können: mais c'est Napoléon! - Ich habe sie seitdem wieder tanzen sehen. Sie gefiel mir aber weniger als das vorige Mal; ich habe Fehler entdeckt. Ihre ganze Seele ist [in] den Füßen, ihr Gesicht ist todt. Ich hatte es zwar schon das erste Mal bemerkt, aber da sie damals die Göttin Flora spielte, nahm ich ihre Unbeweglichkeit für antike Ruhe, und ich ließ mir das gefallen. In der zweiten Rolle aber trat sie als Bajadere auf, als 487 liebende, unglückliche, leidenschaftliche Bajadere, sie tanzte zwischen Lust und Schmerz, doch ihre Züge und ihre Augen schliefen den ewigen Schlaf. Entweder mein Opernglas war sehr trübe, oder die holde Taglioni ist sehr dumm und versteht ihre eigenen Füße nicht. Aber kann man zugleich dumm seyn, und Grazie haben?" -

Es ist Schade, daß wir niemals in den Fall kommen werden, zu sehn, wie sonderbar Börne sich gebärden würde, wenn er plötzlich in Deutschland alles vollkommen fände, wenn er die Deutschen überhaupt und die Frankfurter insbesondre bewundern und loben müßte. Wahrhaftig, dies Gesicht möchte ich sehn. Allein Börne geht gewiß zu Grabe, bevor es nöthig seyn wird, daß er im Tempel des Vaterlandes öffentlich Kirchenbuße thut. Uebrigens bleibt jedem guten Patrioten der Trost, daß eben so wenig als Klopstock uns Deutsche mit seinem ewigen Lobe besser gemacht hat, uns Börne durch seinen ewigen Tadel schlimmer machen kann.

Apparat#