Vergangenheit und Gegenwart. 1830 - 1838
Auszug
Es war am dritten August und die Sonne brannte. In der großen Aula der Berliner Universität wurde der festliche Tag wie immer durch Gesang und Rede gefeiert. Hunderte von Studenten drängten sich hinter der Barre, vor welcher Professoren, Beamte, Militärs saßen. Ueber dem Redner Böckh sang unter Zelters Leitung der akademische Chor; Mantius entwickelte schon seinen sanften zärtlichen Tenor. Schmalz, der Selige, gieng mit Haarbeutel und Degen von Stuhl zu Stuhl, um mit den Ministerialräthen über Völker- recht und die Freitischverwaltung zu sprechen. Gans war erhitzt und ungeduldig; er ließ Briefe von Raumer, die eben aus Paris gekommen waren, im Saale umlaufen. Der Kronprinz lächelte; aber Alle, die Zeitungen lasen, wußten, daß in Frankreich eben ein König vom Thron gestoßen wurde. Der Kanonendonner zwischen den Barrikaden von Paris dröhnte bis in die Aula nach. Böckh sprach von den schönen Künsten, aber Niemand achtete diesmal seiner gedankenreichen Wendungen und classischen Sprache; Hegel trat auf und nannte die Sieger in den wissenschaftlichen Wettkämpfen der Akademie. Jede Fakultät hatte einen Preisbewerber zu belohnen; aber Niemand hörte darauf, als der Betheiligte. Ich selbst vernahm mit einem Ohr, daß ich sechs Mitbewerber überwunden und den Preis in der philosophischen Fakultät gewonnen hätte; mit dem andern von einem Volke, das einen König entsetzt hatte, von Kanonendonner und Tausenden, die im Kampfe gefallen wären. Ich vernahm keinen der Glückwünsche, die man mir rechts und links darbrachte. Ich schlug das Etui nicht auf, welches die goldne Medaille mit dem Brustbilde des Königs enthielt; ich sah die Hoffnung nicht mehr, die man mir in einigen Jahren auf eine außerordentliche Professur machen konnte; ich stand betäubt an dem Portal des Universitätsvorhofes und dachte über St. Marc Girardins Prophezeihung und die deutsche Burschenschaft nach. Ich lief dann hier und dort von Glückwünschenden angehalten, zu Stehely und nahm zum ersten Male eine Zeitung vor’s Gesicht. Nie war das meine Gewohnheit gewesen. Die Stunde, wo die Staatszeitung desselben Abends erschien, währte mir unendlich lange; ich schämte mich, wenn man geglaubt hätte, ich wollte in den königl. Geburtstagsfeierlichkeiten meinen Namen gedruckt lesen. Nein ich wollte nur wissen, wie viel Todte und Verwundete es in Paris gegeben, ob die Barricaden noch ständen, ob noch die Lunten brennten, der Pallast des Erzbischofs rauchte, ob Karl seinen Thron beweine, ob Lafayette eine Monarchie oder Republik machen würde. Die Wissenschaft lag hinter, die Geschichte vor mir.