Rückblicke auf mein Leben.
Auszug
Mit Glockengeläut und Choral kann Referent von seinem Leben nicht sprechen. Er lügt sich nicht den Ruhm an, als wäre er mit einem feierlichen, fertigen, in seiner letzten Lebensstunde bis auf den richtigen Schlußparagraphen gelösten Programm auf die Welt gekommen . Er ist nie vor sich selbst auf die Kniee gesunken und hat den Gott in seinem Busen als ein ihm persönlich höchst Merkwürdiges angebetet. Höchstens einmal im Zorn konnte er mit Emphase von seinem Wollen oder Wirken sprechen. Redliche Absichten, hohe Ziele hat es gewiß auch für ihn gegeben. Aber mit in den Kauf gingen Unüberlegtheiten, unbewußte Instincthandlungen, Zuckungen und Reflexhandlungen, wie wir deren nur im Traume zu machen pflegen. Und „das Leben ist ein Traum!“ Wer fühlt es nicht in seinen sechziger Jahren! Und wie oft war es ein böser Traum! Böse, wie ein Alp drückend, und drückend durch unsere Schuld! Wenigstens unter Schriftstellern oder Künstlern suche man doch nicht vollkommene Menschen! Selbst Goethe fühlte die Unmöglichkeit, immer von sich mit Choral zu sprechen. Er schob bei seiner Selbstbiographie der „Wahrheit“, die sein Gewissen drückte, die „Dichtung“ unter. Vollkommne Menschen können nur die Männer gewerbmäßiger Berufsart, die hohen politischen Streber des Tages, die Geheimen Ober-Regierungsräthe, die Besitzer einer Brust voll Orden sein, die Börsenmillionäre, alle, die in der Welt nicht rechts, nicht links gesehen haben, sondern immer nur schnurstracks losgingen auf ein und dasselbe Ziel.