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Der Ehrgeiz als Censor und eine Erziehung der Geister

Auszug

Seit Jahren liest man in Klage- und Anklageschriften aller Art, z. B. über die deutsche Geistesentwickelung und deren im Grunde wilde und anarchische Geschichte, Ausstellungen aller Art. Gewisse Namen, wie Heine, Börne, Junges Deutschland, Herwegh, politische Lyrik, brauchen nur genannt zu werden, um nicht nur Literarhistoriker wie Vilmar, Gelzer u. s. w., sondern selbst weniger grell-pietistische Kritiker in Harnisch zu bringen. Mit Feuer und Schwert möchte man am liebsten ausrotten, was sich so regellos und aller Ueberlieferungen spottend bei uns entwickelt hat und noch entwickelt.

Weit entfernt, die große Bedeutung unserer geistigen Freiheit und einer unabhängigen literarischen Metamorphose verkennen zu wollen, bemerken wir dennoch, daß es z. B. für die sogenannte schöne Literatur in Frankreich eine vorgezeichnete Bahn der Entwickelung gibt, eine Art von Selbstcensur und Selbsterziehung schon in den Jahren des ersten wilden und genialen Aufwuchses. Das ist der Ehrgeiz fast jedes jungen französischen Dichters und Schriftstellers, im Verlauf von zehn bis zwanzig Jahren Mitglied der Akademie zu werden. Die Akademie in Paris gehört bekanntlich nicht der Gelehrsamkeit allein, sondern auch den schönen Künsten und der Poesie an. Sie hat Zeiten gehabt, wo sie durch ihre Pedanterie und die Misgriffe ihrer Wahlen mehr lächerlich als ehrend war; aber in neuerer Zeit hat sie vorurtheilslos selbst leichten Dichtern und Journalisten des Tags, wenn sie begabt waren, sich geöffnet. Sie hat die Bedeutung des modernen Schriftstellerthums in einem andern Sinne aufgefaßt als unsere deutschen Schulmänner und Professoren, welche die deutsche Literaturgeschichte mit Tieck abzuschließen und höchstens noch Platen seiner Sprach- und Verskunst wegen gelten zu lassen pflegen. Victor Hugo, Delavigne, Alfred de Vigny, Scribe, Ancelot, de Musset waren oder sind Akademiker; selbst Feuilletonisten, wie doch zuletzt Sainte-Beuve nur ein solcher zu nennen ist, wurden Akademiker, und nicht umsonst citirt Jules Janin in jeder seiner Theaterkritiken lateinische Worte. Er hofft, mit der Zeit auch noch in die Akademie zu kommen und wird es vielleicht.