Zeitungslügen.
Auszug
Kein Journalismus tastet so im Ungewissen, wie der deutsche. Keiner ist so reich an Erfindungen, unbegründeten Gerüchten, unmaaßgeblichen Vermuthungen, keiner so auf die enge Gränzlinie zwischen Lüge und Wahrheit eingekeilt, wie der deutsche. Es ist dies eine Folge unserer politischen und preßgesetzlichen Zustände. Die Presse entfaltet bei uns eine außerordentlich lebhafte Thätigkeit, ohne ein rechtes Material dafür zu haben. Alles will schreiben, Alles will lesen und nichts ist gewiß, nichts kann man verbürgen. Die Zeitungen wollen gefüllt seyn, und so erfinden sie. Sie erfinden keine großen Puffs, keine muthvollen Extravaganzen, aber sie erfinden eine Unsumme kleinen Materials, das sich von Zeitung zu Zeitung schleppt, kleine Vermuthungen, kleine Gerüchte. „Man will wissen“ – „Man behauptet in großen Cirkeln“ – „Einem ziemlich verbreiteten Gerüchte zufolge“ – kurz die deutsche Zeitungspresse lebt nur zur Hälfte von Thatsachen. Die andere Hälfte ihres Stoffes liefert die Einbildungskraft.
Wie will das auch anders seyn? Die deutsche Zeitungspresse ist unsern politischen Zuständen bei weitem voran. Nicht innerlich, aber äußerlich. Sie verbraucht ein enormes Quantum von Papier. Die Bogenzahl ist im Vergleich des Inhalts ungeheuer. Wir erstaunen, daß die erste Zeitung der Welt, die Times , weniger Exemplare absetzt, als z. B. das Frankfurter Journal . Wären unsere Zeitungen theuer und läge nicht der Druck der Stempelabgabe und der Postaufschläge auf ihnen, sie müßten in einer Zeit des so erschwerten Industrialismus den reinsten Gewinn abwerfen. Unsere Zeitungen rivalisiren mit einander. Sie suchen sich den Rang abzugewinnen. Wie können sie dies, da sie doch zum größten Theile farblos und ohne Bedeutung für den Partheigeist sind? Sie können es nur durch die Masse bedruckten Papiers, durch das Aufgebot aller ihrer Kräfte, um in verschiedenen deutschen Städten sogenannte „gutunterrichtete“ Correspondenten zu haben.