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Offenes Sendschreiben an den hiesigen Göthe-Ausschuß

Auszug

Vor einigen Tagen las ich in einem öffentlichen Blatte, daß man in Frankfurt beabsichtige, Göthes Denkmal auf die Mainbrücke zu postiren. Er sollte Sachsenhausen und Frankfurt als Brückengott und heil. Nepomuk verbinden und etwa dem Hahne gegenüber ein noch deutlicheres Bild der aufgehenden Sonne, gleichsam eine Memonssäule vorstellen. Der Journalist war falsch unterrichtet; denn Sie, meine Herren, haben die sogenannte Allée, einen schattigen, etwas engen Platz mitten in der Stadt, dazu bestimmt, in der Mitte zwischen dem hölzernen Meß-Caroussel und dem Riesen- und Zwergenpaar, das sich auf der andern Seite sehen läßt, Göthes Denkmal aufzunehmen. Meine Herren, ich billige weder die Sachsenhäuser Brücke noch die Allée, weder den Römerberg, noch die Schlimmauer, wo Göthe seinen Traum hatte; ich billige gar nicht die Absicht, Göthe in die freie Luft zu stellen, ihn den Blicken der Menge Preis zu geben und ihn dem Volke, das Göthe nie geliebt hat, gleichsam aufzudrängen.

Denkmäler sind dazu da, daß sie anregen, daß sie verstanden werden und einem heiligen Palladium gleichkommen. Denkmäler sollen nie so starr sein, daß die Theilnahme der Menge sie nicht gleichsam flüssig machte und den Stein oder das Erz in warmes Leben verwandelte. Das kann Göthe nicht. Er wird nie ein Heiliger des Volks werden. Er wird der Masse, die ihn nicht gelesen hat oder die ihn nicht versteht, immer gleichgültig bleiben. Er wird, da unsre politische und religiöse Debatte noch lange nicht beschwichtigt ist, sogar ein Gegenstand der Mißachtung werden und weit mehr Hohn, oder wenigstens Gleichgültigkeit finden, als Theilnahme. Welch eine betrübende Aussicht wäre dies für diejenigen, welche Göthe verstanden haben, die in das Geheimniß seiner Welt- und Menschenbetrachtung eindrangen und sich in dem Gefolge seiner auserwählten Anhänger befinden? Wie schmerzlich, dort den kalten philosophischen Dichter stehen zu sehen, den weisen Weltmann, den Verachter der Menge, den wunderlichen Gelehrten und Dilettanten, wie das Gewühl des Tages an ihm vorüberrennt und ihn keines Blickes würdigt! Schiller kann in der Allée stehen, aber Göthe kann es nicht.