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Göthe, Uhland und Prometheus

Auszug

Hat Göthe über Uhland eine Ungerechtigkeit gesagt? Gewiß, wenn er ihn da tadelt, wo er ihm am verwandtesten ist. Von Uhlands sogenannter zeitgemäßer Poesie abstrahiren wir einen Augenblick; aber für die Gattung, für das Lied und die Ballade hat Uhland Unsterbliches geleistet. Wenn es wahr ist, daß das lyrische Gedicht einen begränzenden Rahmen haben soll, der den Gedanken so zusammentreibt, daß er auf einen Moment ihn verkörpert, so ist Uhlands Lyrik noch gestaltender, als Göthe’s. Jedes Gedicht soll in der That aus zwei Theilen bestehen, aus einem sichtbaren Gerüste und einem Nachklange, der so mächtig ist, daß er den Hörer zwingt, ein zweites Gedicht, die Erklärung eines gesehenen oder gehörten, in sich nachzuschaffen. Das wahre Gedicht liegt oft gänzlich ausserhalb des Wortes: man muß es erst machen, wenn man die anregenden Worte vernommen hat. Deshalb ist die Einfachheit schon das erste Kennzeichen eines jeden wahren Gedichtes; aber wie oft verpuffen Göthe’s Verse! Selten bei Uhland, namentlich in der Ballade, deren lyrische Auffassung, deren einfache Fragen und Antworten, deren ganze Form die Hörer immer zwingt, das eigentliche Gedicht erst selbst zu machen, so daß man einen Augenblick das Buch zuschlägt, und nicht genießt , sondern ergänzt und thätig ist. So muß man sich ausdrücken, will man an Uhland das Rechte bezeichnen.

Uhlands patriotische Verdienste konnte Göthe nicht würdigen: er bepfuite die politischen Lieder. Das mag ihm hingehen, dem alten Herrn, der nicht im Zusammenhange die Ereignisse sahe, und in seiner Jugend wahrlich keine Aufforderung gefunden hatte, sich um die Misere seiner Geschichte zu bekümmern. Ihm dies nachtragen wollen, ist eine Ungerechtigkeit, die in Bezug auf Uhland sich um so mehr vergrößert, da die Thätigkeit desselben in dieser Rücksicht untergeordnet ist, und nur für Würtemberg von Werth seyn kann. Uhlands Verdienst ist ein generelles, in Beziehung auf das Lied und die Ballade.