Vom deutschen Parnaß
Auszug
Je mehr eine Zeit auf Nivellirung der Geister ausgeht, desto mehr wird die Gefahr entstehen, eine Literatur sich in Dilettantismus auflösen zu sehen. Es schreiben und dichten dann nicht nur blos Die, die zu schreiben und zu dichten gerade Zeit haben, sondern auch Das, was geschrieben und gedichtet wird, kommt so ziemlich einer conventionellen, sich von selbst verstehenden Tagesordnung gleich; man haspelt eben die alten Pensa der Literatur ab, je nach Lust, Laune und Vermögen. Dies Gefühl der Leere haben wir unabweislich beim Anblick von Dramen, Romanen, von lyrischen Gedichten, von epischen, wie sie jetzt der Meßkatalog liefert, der Buchhandel verbreitet, befreundete Kritik oft unglaublich hoch anpreist. Es summirt sich aus einem solchen poetischen Gewerbe mit der Zeit auch Manchem eine Stellung in der Literatur und mehr als Eine solcher Stellungen könnte man anführen, die sehr achtbar und anerkennenswerth ist. Etwas Originelles aber, Eigenthümliches, Neues tritt uns selten entgegen. Mancher überraschte durch eine einmalige bedeutendere Leistung; er hielt sie nicht fest. Schon seine zweite Schöpfung blieb hinter der ersten zurück.
Der Grund dieser Erscheinung liegt in dem Verhältniß der Dichter zu ihren Stoffen. Sie verfahren in der Auswahl zu sehr nach beliebigem Gefallen. Sie vertrauen zu sehr einer leichten, oberflächlichen Ausbildung ihres darstellenden Vermögens und greifen nun, wenn sie eines gewissen, wir möchten es nennen lyrischen Inhalts sich bewußt sind, blindlings hinaus in die Welt und suchen - den glücklichen Fund. Dadurch geräth ihre Entwickelung entweder bald in ein Stocken bis zur Unfähigkeit oder sie verflachen sich auf Alles und Jedes. Woran liegt der Fehler? An der schwachen Entwickelung des innern Menschen, an dem zu großen Vertrauen auf ein zufälliges Formtalent, zuletzt an dem einseitigen Haschen nach „Poesie“, ewig nach „Poesie“ und immer nur nach „Poesie“.