Madonna. Unterhaltungen mit einer Heiligen. Von Th. Mundt
Auszug
Alles, was Mundt in Beziehung auf seine Heldin erfindet, ist genial und hinreißend schön dargestellt, und läßt uns aller Wege wünschen, daß er mehr von seinem heillosen Räsonnement hätte Fleisch und Blut werden lassen. Der Spiritualismus Madonna’s bezaubert, ihre Bekenntnisse wird man mit Entzücken lesen. Hier wird selbst das Detail, die Scene mit ihrem Genre meisterhaft. Wie launig wird der alte Schulmeister mit Casanova düpirt, den er für einen Heiligen hält! Welche satte Pinselstriche sind in dem schönen Gemälde von Madonna’s Versuchung, wo des Mädchens Ergriffenwerden von einer ihr selbst verhaßten Wollust, ihr halber Kampf, die Stummheit des Ringens mit bewußter Kunst wiedergegeben wird! Das Gespräch mit Madonna, wie unwirklich es ist und wie unmöglich, so ist es doch durch und durch wahrhaftig, nach jenem höhern Maaßstabe, der an den erfindenden, nicht kopirenden Dichter gelegt werden muß.
Die Räsonnements des Buches betreffend, so wollen wir nicht von allen sagen, daß sie ermüdend sind. Mehre Charakteristiken zeichnen sich aus; die Parallele zwischen den beiden Jean Jacques, zwischen Don Juan und Faust ist klassisch. Aber das Meiste daran thut weh: der Verfasser ringt sich gewaltsam etwas ab, was im Grunde Niemand von ihm verlangt. Nicht nur, daß Allgemeinheiten wenig nützen, daß Mundt’s im vorigen Jahr erschienener „moderner Lebenszwirn“ kein faktisches Loch zugenäht hat, so kränkt uns die sonderbare Art, von der sich der Vf. fast willenlos rütteln und schütteln läßt. Wer sonstige Ressourcen seines Talents hat, soll die Genialität nicht forciren. Mundt wird als Denker und Stylist niemals genial, er mag sich kopfübern wie er will. Es paßt die Überschwänglichkeit nicht für seinen durchaus kritischen Geist. Es ist eine ganz unnatürliche Grimasse, mit der sich Mundt seinen Bewegungsjubel abtrotzt . Mundt ist ein durchaus reflektiver, vermittelnder Kopf, der niemals an das glauben sollte, was ihm gerade einfällt. Aber es scheint, als legt’ er es darauf an, das Unmittelbare, das, was seinem Geschmacke selbst widerstrebt, für das Nöthige zu halten: es scheint, als begleite ihn, indem er schreibt, der parallele Gedanke: du läßt es eben laufen! Wie glücklich sind die Menschen und Dinge, die einer solchen Desperation in den Weg kommen. Ich möchte von Mundt nicht gelobt sein; denn morgen müßt’ ich gewärtigen, daß er es wiederriefe. Er rennt Alles um, je nachdem ihm die Laune steht oder je nachdem ihm seine innere literarische Unruhe, eine Art von Gewissen, wieder aufschreckt und ihm zuflüstert, es gucke ihm schon wieder das Muttersöhnchen und das Genie der Dachstube aus dem Ärmel. Die Mundt’sche Bewegung ist die Zeit im Tretrade: während die rechte Bewegung gesetzt vorwärtsschreitet, mit bestimmten Zwecken im Auge, und sicher, fest in jeder ihrer Tendenzen ist. Mundt ist ein weit besserer Poet, als Philosoph; kein Offenbarungspoet, aber eine gesättigte, kritische, durch Literaturgeschichte reife Phantasie, die über ihrem Gegenstande steht, und sich einen gewissen bescheidenen Instinkt als wirkliche Mitgabe der Natur, trotz aller gelehrten Verhältnisse, erhalten hat. Ich glaube, daß er in dieser Art ganz positive Gebilde schaffen kann.