[Franz Liszt in Hamburg]
Auszug
* Es giebt noch Erscheinungen, die größer als das Feuilleton sind. Sonst regiert das Feuilleton die Welt. Könige, Dichter, Künstler werden jetzt nur noch durch das Feuilleton unsterblich. Man schreibt keine Abhandlungen mehr. Man giebt Notizen und die überbildete Lesewelt bildet sich jetzt schon daraus selbst ihr Urtheil. Aber Franz Lißzt ist größer, als das Feuilleton. Man kann ihn in seiner Meisterschaft weder durch pyramidale Beiwörter, noch durch Anekdoten erschöpfen. Was haben wir über die Blätter lachen müssen, die in ihren von erkauftem Lob entweihten Spalten ankündigten: Franz Lißzt wird morgen sein zweites Conzert geben ! Armer Lißzt, was wärst Du ohne die Unsterblichkeit, die man sich durch zwei Freibillets und ein Jahrabonnement auf Dr . Hudlers Zeitschrift erkauft! Armer Lißzt, dieselbe Feder, die eben gesagt: Mad. Hahnemann übertraf sich selbst, Herr Fistel sang seinen "Part" bewundernswerth, dieselbe Feder sollte schreiben dürfen: Herr Lißzt wußte sich den Beifall aller Anwesenden zu erwerben? Nein, Lißzt, Dein Pesther Ehrensäbel gehört in das Nonpareil der kleinen Chronik, aber Deine Künstlergröße vorn an die Stirn der Journale. - Wenn wir nach Diesem doch von Franz Lißzt hier im Gemengsel der Notizen sprechen, so geschieht es, weil wir auf eine Würdigung seiner Kunst vom musikalischen Gesichtspunkte Verzicht leisten. Wir können nicht sagen, daß wir die außerordentlichen Schwierigkeiten überschauen, die der geniale Künstler überwindet. Uns schien er über Blumen und Wiesengrün schmetterlingsartig zu fliegen, während Viele neben uns schwindelten und behaupteten, sie sähen ihn wie weiland Kaiser Max auf der Martinswand, aber sein Genius umschwebe ihn und würde ihn schon in die sichere Ebene der Schlußcadenz zurückführen. Einigen Klavierspielern neben uns wurde ganz unwohl. Sie lachten übermäßig, um zu verbergen, daß sie eigentlich weinen wollten. Lißzt soll in der That noch weit mehr ächter Klavierspieler seyn, als Thalberg, den ich in Baden-Baden hörte und der mich recht fröstlich kalt ließ. Dreyschock ist gegen Lißzt ein kleines, artiges Talent, das schon an der Gränzlinie der Charlatanerie liegt. Was Referenten an Franz Lißzt ganz besonders ansprach, war Folgendes: 1) seine poetische Erscheinung. Seine Züge haben ganz jene weibliche Milde, die alle höhere Genies auszeichnet, sein Auge spricht, seine Atmosphäre läßt ein ereignißvolleres Leben ahnen, als die täglichen zwölfstündigen Übungen des treibhausgezogenen Virtuosen. Dieser Lißzt zeigt uns nicht jene Jammergestalten, die sich für einen Thaler in den Conzerten hören lassen und denen man recht ansieht, wie sie die Nächte nur anwendeten, um durch Schlaf ihre durchgeübten acht Früh- und vier Nachmittagsstunden wieder einzuholen. Lißzt, das sieht man wohl, hat auch in den Nächten seiner Kunst - vielleicht auch dem Leben - geopfert. 2) Lißzt erscheint. Er sieht wie Franz Dingelstedt aus. Er zeigt alle Spuren der jeune Europe . Wie ich mich freute! Diese jeune Europe , diese jeune France , diese jeune Allemagne - wie wird sie verfolgt und als flüchtig, windig, ankerlos hingestellt, und seht den Lißzt, - haben Eure gesetzten Virtuosen von ehemals, Eure Hummel und Field, das geleistet, das studiert, was dieser junge Zerrissen e, diese junge Georg-Sandist muß über sich gewonnen haben? Welche Übungen gehören dazu, um ein Hummelsches Septett aus dem Kopf zu begleiten! Ich will nicht rezensiren, ich will auch nicht sagen, daß eine solche Streicherei von sechs Instrumenten mit einem siebenten Streicher (nein, Lißzt hat einen Erard) sich wie ein Scharivari der wilden Südseeinsulaner anhört, ich will nur mit einem alten Freund aus München sagen: "Nein, das muß wahr seyn, der Lißzt ist schon groß." 3) Lißzt ist da. Man hat sich sehr über den Wirth zur Stadt London geärgert, in dessen Saale die Gesellschaft versammelt ist. Man hat gesehen, daß ein Kellner, sage ein Kellner, in seiner unanständigen kurzen Jacke mit bloßem a posteriori die Leuchter auf den Flügel stellt, man hat sich geschämt, daß man für drei Mark zwölf Schillinge nicht einige in Livrée gesteckte dienstbare Geister auf dem Podium des Flügels hanthieren sieht, geschämt, der Londoner, Pariser, Berliner und Wiener wegen, die von dem Pli des Hamburgers hier einen gar traurigen Begriff bekommen müssen - genug, Lißzt ist da. Nun kannt' ich ihn früher nur aus Dantan's Gyps-Carrikaturen. Und in der That die hundert Finger an zwei einfachen menschlichen Händen sind da. Lißzt scheint die Arme früher bei seinen Übungen in einer eisernen Maschiene gehabt zu haben: nur die Finger spielen. Der Oberkörper ist würdevoll zurückgebogen, die Arme sind in einen ehrenvollen Ruhestand versetzt. Die Finger selbst werden nur von dem obern Handgelenk regiert, wie beim Violinspieler. Lißzt setzt sie von oben senkrecht herunter und macht sich den Spaß, nach jedem Ton, der er angeschlagen hat, die Hände in die Luft zu schnellen, als wollte er dem Publikum mit Jantje von Amsterdam sagen: Seht, nichts als Geschwindigkeit, keine Hexerei. Es war ein prächtiger Einfall von Lißzt, sich diese drollige Taschenspielerei der Hände anzugewöhnen. Viele Leute, die nichts von der Musik verstehen, halten nun das Ganze doch für Zauberei und ahnen das Uebernatürliche derselben aus dem Schein von Natürlichkeit, den sich die Hände geben. Damit auch Alle dies Becherspiel der Hände sähen, rückte Lißzt seinen Flügel auch einmal nach der andern Seite des Saales hinüber, was ihm sehr viel Freunde erwarb. Lißzt hätte ein großer Künstler seyn können, aber daß er den Damen zu Lieb' seinen Flügel umkehren ließ, zeigte ihn auch als Mann von Gefühl. Diese Aufmerksamkeit war hier noch nie vorgekommen. Nicht Thalberg, nicht Ernst hatten soviel Gemüth entwickelt. Lißzt der Künstler könnte vielleicht vergänglich seyn, aber - daß er seinen Flügel schwenken ließ, um jeder auch noch so mittelmäßigen Klavierspielerin die Art zu zeigen, wie er die Finger ansetzt, das wird man ihm nie vergessen. Daß Lißzt Geist hat, weiß man daraus, daß Georg Sand ihm Freundin seyn konnte, daß er Seele hat, beweist sein Spiel, aber - nun hat er bewiesen, daß er auch ein Herz hat. 4) Lißzt's Finger! Hier muß ich um Verzeihung bitten, wenn ich sie mit etwas keineswegs Schönem vergleichen werde. Aber welcher Vogel ist häßlicher, als die Sängerin der Haine, die Nachtigall? Die Hasselt in Wien ist auch nicht schön und Lißzt's Finger sind es noch weniger. Soll ich sagen, wie mir diese aufgespreizten fünfgespaltenen Hände mit ihrem stelzenmäßigen Gange über die Tasten des Instrumentes erschienen sind? Wie Krähenfüße. Ganz derselbe hohe Trab, dieselbe Länge, dieselbe Spreizung, nur mit dem Unterschied, daß der Pfau seine Füße unter dem glänzenden Gefieder zu verbergen sucht, Lißzt aber in manchen Augenblicken ganz Finger wird. Warum man in unsern anatomischen Museen nicht zweierlei Skelette in allerhand Arten zu sammeln sucht: Hände von Dieben und Hände von Virtuosen? Ich wüßte nichts Interessanteres, als neben der Hand eines Steuereinnehmers die eines Jack Sheppard und neben der eines Stadtmusikanten, der in seinem Leben nichts als Kirmeßwalzer spielte, die eines Paganini zu vergleichen. 5) Franz Lißzt ist auch Redner. Er wandte sich an das Publikum mit der Erklärung, er wolle gern dem an ihn ergangenen Wunsch, eine Sonate von Beethoven zu spielen, entsprechen, müsse aber dann bitten, ihn von einer andern Pieçe zu dispensiren. Er sprach deutsch. Franz Lißzt würde jedoch in der Badischen Ständekammer keine große Rolle spielen. Möglich jedoch, daß man ihn bei einem Zweckessen, welches die Heimchen auf der Wiese veranstalteten, als Toastausbringer verwenden könnte. Er würde bei dem Gutenbergsessen in Berlin sehr gut haben die Preßfreiheit in Anregung bringen können, denn er würde, da man ihn nicht gehört hätte, die Gesellschaft vor allen Unannehmlichkeiten bewahrt haben. Franz Lißzt ist schon deshalb für die Opposition, weil die Regierung ihn nimmermehr zur Vertheidigung ihrer Maßregeln würde brauchen können. In einem Zimmer von acht Quadratfuß ist es jedoch möglich, daß Lißzt sich auch zum Demosthenes aufschwingt. - Über das Artistische seines Spiels mögen Kenner urtheilen. Ist er besser im Piano oder im Forte, wir wissen es nicht; aber sein Pianoforte, ein Erard, wird einstimmig für nicht ganz vorzüglich erklärt. Er kam mit dem Dampfboot aus London. Vielleicht hat er etwas an der Seekrankheit gelitten. - Ein Ehrensäbel wird dem Künstler hier nicht verehrt werden. Aber wär' unser Bürgerrecht (es kostet nur dreißig Mark) nicht gar zu wohlfeil, vielleicht machten wir ihn zum Ehrenbürger. Zu einem zwanzigmaligen Hervorruf haben wir uns indessen schon aufgeschwungen und es fehlte nur ein leiser Stoß, so hätten wir uns zu ungarischen Eljens hinreißen lassen. Von hier wird Lißzt wohl nach Berlin gehen. Er ist kein Mensch, er ist eine Erscheinung.