Ein Mädchen aus dem Volke. Bilder der Wirklichkeit
Auszug
Selbst die Kaffeehäuser und die Billardtische in ihnen standen öde und selbst wie gelangweilt. Oswald, schlank und gefällig, von brauner Locke, brauner Wange, mit schwarzen Sternen in braunen Augen, schlenderte durch die Straßen der großen Stadt, die seine Heimath nicht war. Vor kurzem erst aus der Provinz gekommen, wollte er an den obern Gerichten seine letzten Prüfungen bestehen. Empfindsamkeit suchte er von sich zu weisen, suchte sogar – im lichten Sommergewande, dann und wann mit dunkelrothem Taschentuch die heiße Stirn trocknend und den leichten Strohhut lüftend und im stillen Genuß einer Cigarre – auf den einsamen Straßen ein Behagen zu finden. Aber er täuschte sich. Die Stimmung blieb die des drückendsten Verlassenseins. Ernst Oswald gedachte der Heiterkeit, die in diesen Stunden auf dem ländlichen Besitzthum seiner Eltern waltete. Er berechnete, wie um diese Stunde seine Mutter zu einer Fahrt nach einem nahegelegenen Badeorte trieb, die Schwester sich schmückte, der Vater aus seinem Nachmittagsschlafe sich erhob, selbst Apoll, der Wächter des Hauses, aus seiner Hütte sprang und bellend die kühnsten Trampolinsprünge an der Kette zum besten gab, und wie endlich dann der Einspänner aus der Wagenschauer gezogen wurde. Er sah die Fahrt nach dem kleinen Bade durch einen Buchenwald, sah die Ankunft an der eingefriedigten Quelle, einem Stahlwasser, wo seine Schwester regelmäßig aus einem von baarbeinen Kindern dargebotenen Glase zu nippen pflegte, sah das Glas in der Sonne blinken, sah sogar die Gasperlen des Wassers in ihm aufwirbeln … ach so deutlich stand die Ferne vor ihm! Und ihn, ihn umfing die ödeste Oede, die es innerhalb der Civilisation nur geben kann, der Sonntagsnachmittag einer großen Stadt.