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Wie ich von der Lyrik abkam

Auszug

- - Der Herausgeber dieser Blätter hatte die Güte, mir eine Anzahl Nummern seiner Zeitschrift zuzusenden und mich zugleich mit dem Wunsche zu überraschen, von mir einen Beitrag, und sogar einen lyrischen, zu erhalten. Meine früher veröffentlichten Gedichte, so lautete die zuvorkommende Motivirung des Ersuchens, hätten den Herausgeber immer bedauern lassen, daß dies Gebiet des dichterischen Schaffens so schnell wieder von mir verlassen worden wäre.

Der Beantwortung eines solchen mir seit lange nicht gewordenen Zugeständnisses muß ich zuvörderst das Bekenntniß voraussenden, das beschämende: Ich sehe eine Mehrzahl von Nummern der „Deutschen Dichterhalle“ zum ersten Mal! Ach! so indolent machen die Jahre und die tausend nicht erfüllten Hoffnungen und Strebungen, z. B. des Seufzens nach dem Sonnenorden, den nun blos wieder Freund Bodenstedt weggefischt hat! Aufrichtig gestanden, auch glaubte ich, als ich von einer Genossenschaft poetischer Mitarbeiter hörte, die wieder einmal eine Dichterhalle herausgäben, etwas aus dem Wupperthal herüber wispern zu hören oder aus dem weiland Junggermanenthum Wiesbadens, wo man durch näheres Herantreten an die Unternehmungen der gemeinschaftlich Verbündeten nur ein geselliges Privatvergnügen, Meine Tante, Deine Tante, zu stören fürchtet. Nun liegen aber zwölf elegant gedruckte Nummern der „Deutschen Dichterhalle“ vor mir und sie sind mir ein wahrer Zauberspiegel geworden. Sie haben mich auf ein halbes Jahrhundert zurückblicken lassen, wo ich im „Gesellschafter“ mit Aufmerksamkeit Chamisso’s neueste Terzinen studirte und im „Freimüthigen“ sogar meine eigenen Verse aufsuchte. Nicht daß in der Dichterhalle etwas Veraltetes in veralteter Weise erneuert wäre, nein, der Revenant erscheint ohne Gubitzens Nachtmütze und Flanelljacke, die ihm Kopf und Leib warm halten mußten, wenn er die Einsendungen der Lyriker, die man jetzt in den Papierkorb wirft, gewissenhaft bis tief in die stille Mondnacht der Kochstraße No. 70 studirt hatte. Der Papierkorb steht in der „Deutschen Dichterhalle“ nur insofern in der Nähe, als diesen Blättern das moderne Element der Kritik, die Kaustik des Witzes mit gewahrt ist. Nicht Alles ist hier Lotosblume und Nachtviole oder wird gläubig dafür hingenommen. Ja, man glaubt bei jedem Gedichte Täfelchen mit Linné’schen Nummern und Namen zu sehen, wie in einem botanischen Garten, wo es so schön zu wandeln ist, fern vom Straßenstaub, und wo man überall von Belehrung umgeben ist, neben dem Genuß. Kurz, während uns jetzt selbst unsere belletristischen Blätter, die illustrirten, von nichts als Unfehlbarkeit, Darwin, Entwickelungslehre, Affentheorie, Kriegslärm unterhalten, ist wieder ein Journal entstanden, das sich rein der Idealität widmet. Blättert man lange darin, so möchte man wetten, es erschiene im nächsten Herbst wieder ein Musenalmanach.