Menu

Bulwers neueste Schriften

Auszug

Die meisten Erscheinungen der Literatur bewahrheiten die Bemerkung, daß jede Zeit wie jeder Zweig der Kunst selten ein ganzes und nach jeder Richtung hin vollendetes Werk bildet; an der großen Mehrzahl der Schöpfungen sind eben so viel Mängel als Vorzüge. Der Schatten theilt sich brüderlich mit dem Licht in die gegebene Fläche und das Ganze ist sehr oft, genau besehen, nur ein Halbes - als hätten die Schaffenden, in zu sorglosem Vertrauen auf das alte: utile per inutile non vitiatur, sich gehen lassen. So schilderte früher der Roman Situationen in der raschesten Wechselfolge, Handlung in reichster Fülle, daß die Helden kaum zu Athem kommen konnten. Aber das Werk war ohne die Grundlage der Charakteristik, als Motiv für die Handlungen; den Situationen mangelte die innere Nothwendigkeit ihres Entstehens, und das bunte Gewebe der Einbildungskraft , welche man mit Unrecht Phantasie nennen würde, wenn man jene als die Unbelebtes, diese als die Lebendiges erzeugende Potenz der Geistesthätigkeit betrachtet - konnte nur der Zeit eines kindlicheren Gemüthes Geschmack und Interesse abgewinnen. Jetzt schildert der Roman Charaktere, aber der großen Masse derer, in denen dies Streben gelungen ist, fast in allen denen, welche Resultate weiblicher feinerer Beobachtungsgabe sind, fehlen nun dafür interessante wirklich neue Situationen und eine spannende Handlung, die dennoch poetisch wahr bleibt und nicht bloß von der Willkühr auf Kosten der Wahrscheinlichkeit zusammengewürfelt ist. Früher war der Roman breit, jetzt ist er tief. So schaffte früher die Malerei geniale Compositionen - jetzt führt sie die ungenialen mit einer unerhörten Sorgfalt bis ins unbedeutendste Detail aus. In der dramatischen Literatur ist das Gute, sogenannt Classische, gewöhnlich zum Sterben langweilig, dagegen so oft das recht Unterhaltende gerade unklassisch und schlecht. Wen unterhielte nicht der Birch-Pfeiffer Pfefferrösel, aufrichtig gestanden, mehr, als Racine’s Athalie, wen nicht Kotzebue’s Johanna von Montfaucon besser, als Kronegk’s Kodrus? Die Vereinigung beider Elemente, des Unterhaltenden, Spannenden und dessen, was wir zur kürzern Bezeichnung das Classische nennen wollen, so daß eine Schöpfung der Kunst das große Publikum hinreißt und den Gebildetsten ergreift, möchte das wahre Merkmal des Genius seyn - am hervorstechendsten z. B. an dem größten aller, an Shakespeare ausgeprägt, und an allen eigentlich großen Künstlern außer ihm zu erkennen.

Nach diesem Criterium können wir auch Bulwer den Namen eines Genius nicht versagen. Bulwer ist recht eigentlich zugleich breit und tief, er weiß die treffendste Charakteristik mit dem reichsten Wechsel der Situationen zu vereinigen, die gemüthreichste Poesie mit dem eindringendsten Scharfsinn des Verstandes, seltne psychologische Durchdringung der tausend Blätter, in die sich die Herzkrone der Seele birgt, mit dem wärmsten und edelsten Gefühl; und für Alles, was aus diesen Faktoren seines schaffenden Genius sich entwickelt, besitzt Bulwer die geistreichste lebendigste Darstellungsgabe, unabgeschwächt unter dem Gewichte der umfassendsten Kenntnisse, wie wir nur von der Gelehrsamkeit eines Deutschen Professors sie verlangen könnten. Das hat, als man es undankbar über der mißlungenen "Herzogin de la Valliere" zu verkennen begann, auf’s Neue siegend sein Maltravers dargethan, jenes Buch, auf dessen Widmung das Deutsche Volk stolzer seyn sollte. Unbegreiflich ist uns deshalb immer gewesen, warum so viele kritische Stimmen in Deutschland sich schmähend gegen seine Schöpfungen erheben. Das Publikum hat längst für ihn entschieden; ist es jene Oppositions- und Paradoxensucht, jener Widerspruchsgeist , der, wie alle Menschen, die gern geistreich scheinen, am meisten die Kritiker plagt und manchen in dem Sinne den Anspruch darauf nicht abstreiten läßt? Von dem gelehrten Gewäsch, das einst in den Brockhausischen literarischen Blättern "die letzten Tage von Pompeji" herunterriß und über den Mängeln die vielen außerordentlichen Schönheiten des Romans übersah, wollen wir hier nichts sagen. Ernste Rüge aber verdient jene philisterhafte Stimme, welche in No. 56 des Magazins für die Literatur des Auslandes, Berlin 1838, bei einer Beurtheilung des Maltravers sich schonungslose Verunglimpfung erlauben zu dürfen glaubte. Das Haupt-Argument gegen Bulwer wurde aus dem Umstande hergenommen, daß die Heldin Alix bei der Eingehung der Ehe mit Lord Vargrave darauf besteht, ihrem vermeintlich todten Jugendgeliebten oder Gatten vielmehr ihre Treue bewahren zu dürfen. Das ist ächt weiblich und durchaus psychologisch und wahr aus dem innersten Gefühl einer edlen Frauennatur hergeleitet, es ist endlich poetisch unerläßlich; der geistreiche Berliner Rezensent aber hält das in seiner gefühllosen Bornirtheit für pflichtwidrig und unchristlich, für sitten- und schaamlos und weiß Gott für was Alles noch, ist dabei nicht übel geneigt, alle diese Beiwörter als Epitheta auf das Haupt des unglücklichen Schriftstellers zu häufen, der seine Geschöpfe so unmoralisch handeln lassen kann, wie wir denn der Persönlichkeiten in der Kritik einmal nicht mehr entrathen können. Ein so strenger Moralist könnte unsers Erachtens nur so räsonniren: "Alix liebt Vargrave nicht: deshalb ist es ihre Pflicht, zu handeln, wie sie thut, wenn sie von den Umständen gedrungen eine Quasi-Ehe mit ihm eingeht; daß sie aber die Ehe eingeht, daß sie ein so heiliges Institut mißbraucht, das ist sündhaft. Denn Alix protestirt nur gegen Etwas, das ohne die Durchgeistigung und spirituelle Potenzirung durch die Liebe des Menschen unwürdig ist, ihn zum Thiere oder zum geopferten Leibeigenen heruntersetzt, eine Sünde ist. Daran also thut sie recht: aber besser wäre es gewesen, nun auch kein Spiel mit der Ehe zu treiben.- Das wäre die Sprache der wahren Moral, wie sie z. B. auch Ehrenberg vertheidigt - wo? brauchen wir wohl nicht näher anzugeben, da es doch Niemand gern nachschlagen mögen wird. Aber das Philisterthum hütet sich schönstens vor einem solchen Räsonnement; es müßte dann weiter schließen, daß die Ehe überhaupt unmoralisch sey, wenn keine Liebe sie schließt und davon will es nichts hören, so lange es Töchter hat, die, mag auch immer das Herz ihnen darüber brechen, unter die Haube gebracht werden müssen: weltliches und kirchliches Recht sanktionirt ja solche Ehen. -