Stimmen zu Person und Werk#
Ludwig Börne 1832 über „Briefe eines Narren an eine Närrin“
Ein herrliches deutsches Buch habe ich hier gelesen; schicken Sie gleich hin, es holen zu lassen. Briefe eines Narren an eine Närrin. Auch in Hamburg bei Campe erschienen, der seine Freude daran hat, die Briefe aller Narren an alle Närrinnen drucken zu lassen. Es ist so schnell abwechselnd erhaben und tief, daß Sie vielleicht müde werden, es zu lesen; ich bin es selbst geworden und bin doch ein besserer Kopfgänger als Sie. Aber es ist der Anstrengung wert.
„Frankfurter Konversationsblatt“, 1835
Es gehört zu den Lieblingsredensarten der Feinde der aufkeimenden literarischen Generation, daß diese keine Tiefe, keine Gründlichkeit besitze. Von Gutzkow muß dieser einseitige Vorwurf abprallen. Er verbindet den kritischen Scharfsinn Lessings mit dem Feuer und der Kühnheit Börnes, er besitzt Kraft und Fülle und das tiefe, reiche Gefühl Jean Pauls; er ist voll philosophischer Tiefe und lebensfroher Poesie, voll raschen, jugendlichen Geistes und edlen, hingebenden Gemüthes.
Wolfgang Menzel, 1835
Bei alledem maßt sich Herr Gutzkow an, das Haupt des „jungen Deutschland“ zu seyn und im Kampf der Zeit eine große Rolle zu spielen. Auf einem kranken Bock reitend, glaubt er sein Ritterthum im Kampf der Zeit zu bewähren. Mit Unzucht will er die Welt verbessern. Eine schändliche Krankheit bietet er ihr als Heilmittel an.
„Evangelische Kirchenzeitung“, 1835
Dem Redakteur des Literaturblattes, Dr. Wolfgang Menzel, gebührt das Lob, daß er mit großem Muth und mit großer Macht die Schandglocke geläutet hat über den Doktor Gutzkow und seine Genossen. Rücksichtslos, derb und unumwunden behandelt er die Wiederhersteller des Fleisches als liederliche Menschen und ihre Richtung als Hurerei. Er macht die Frauen und Jungfrauen Deutschlands mit dieser Gesellschaft bekannt, indem er mit bitterem Hohn auf sie hinweist als auf solche, die eben entnervt und von schändlichen Ansehen aus ihren Bordellen herauswanken. So haut er drein nach bestem Wissen und Gewissen mit Heldenmuth, und das Stärkste, was er schließlich den Zerhauenen noch beizubringen weiß, ist ein prophetisches Donnerwort aus dem Alten Testament. Das hat Menzel brav gemacht.
Georg Büchner, 1836
Es ist der gewöhnlichste Kunstgriff, den großen Haufen auf seine Seite zu bekommen, wenn man mit recht vollen Backen „Unmoralisch!“ schreit. Übrigens gehört sehr viel Mut dazu, einen Schriftsteller anzugreifen, der von einem deutschen Gefängnis aus antworten soll. Gutzkow hat bisher einen edlen, kräftigen Charakter gezeigt, er hat Proben von großem Talent abgelegt; woher denn plötzlich das Geschrei?
Heinrich Laube, 1837
Es ist ein reichlicher Stoff Klatscherei in diesem Schriftsteller, er liest alles, was nur gedruckt ist, er übersieht nicht die kleinste thörichte Notiz aus den Gräsern und Schmetterlingen der Abendzeitung, ohne sie seinem Ärger zu notieren und gelegentlich mit einem Sichelhiebe niederzubringen […]. Dann hat er allerdings auch die schlimme Manier, die Schriftstellerei oft wie ein Concurrenzgeschäft anzusehen, mit vollen Tönen lobt er am liebsten die Numismatiker, die Mineralogen und ferne oder todte Leute, all solche, mit denen seine eigne Feder nichts zu schaffen haben wird. […] Er ist ein sehr gewandter dialektischer Geist, welcher allen Gedankenrichtungen die dünnste Seite abzugewinnen weiß - deshalb ist er eigentlich ein Schriftsteller für Schriftsteller. Diese folgen am leichtesten und erfreuen sich am meisten an seinen Wendungen; Wendung ist alles an ihm. […] Das Experimentiren mit der Literatur - […] dies ist das charakteristische Wort für Gutzkows Bestrebungen […].
Karl August Varnhagen von Ense, 1837
Er hat immer schlechte Verbindungen gehabt, und besonders sind die schlecht, die er für gute hielt oder noch hält. Talent und Gewandtheit hat er genug, aber sein Wesen flößt mir kein Vertrauen ein: er geht zu sehr auf äußere Zwecke und Wirkungen, und könnte zum Besten seiner Person unbedenklich zwanzig andre Persönlichkeiten aufopfern. Ich flöße ihm auch kein Zutrauen ein, und so sind wir beide miteinander fertig.
Heinrich Heine, 1837
Gutzkow ist das größte Talent, das sich seit der Juliusrevoluzion aufgethan, hat alle Tugende die der Tag verlangt, ist für die Gegenwart ganz wie geschaffen; der wird mir noch viele Freude machen, nicht eben direkte Freuden, sondern indirekte, indem er meinen Feinden alles mögliche Herzleid verursachen wird. Ich möchte den Göttern ein Dankopfer bringen, daß sie den Gutzkow erfunden haben. Wenn er nur nicht so irreligiös wäre! Das heißt, wenn ihm der heilige Schauer, den uns die großen Männer, die Repräsentanten des heiligen Geistes, einflößen, nicht ganz fremd wäre! Der hat nicht einmal Ehrfurcht vor mir - aber so muß er seyn, sonst könnte er sein Tagewerk nicht Vollenden.
Ferdinand Gustav Kühne, 1838
Gutzkow ist an der Onanie des Ehrgeizes, die er mit sich selbst getrieben, zu Grunde gegangen.
Theodor Mundt, 1838
Gutzkow scheint wenigstens in dem moralischen Bann dieses jungen Deutschlands verblieben zu sein, indem er sich von Neuem in eine literarische Verworfenheit hineingearbeitet hat, in der man ihn diesmal sich selbst überlassen muß …
Friedrich Engels, 1840
Gutzkow besitzt, anerkannt von allen deutschen Autoren - schönwissenschaftlichen natürlich - die größte Verstandeskraft; sein Urteil wird nie verlegen, sein Blick orientiert sich in den verwickeltesten Erscheinungen mit der wunderbarsten Leichtigkeit. Neben diesem Verstande steht aber eine ebenso mächtige Hitze der Leidenschaft, die sich bei seinen Produktionen als Begeisterung äußert und seine Phantasie in jenen Zustand, ich möchte fast sagen der Erektion versetzt, in dem ihr allein eine geistige Zeugung möglich ist.
„Die Grenzboten“, 1844
Die Feder ist sein Stolz, die unbetitelte Schriftstellerei seine Ehre; alle prunkhaften Einflüsse des modernen Lebens haben, wie es scheint, in ihm die demokratische Natur bis jetzt nicht gänzlich tilgen können.
Friedrich Hebbel, 1849
Die Direction des Hofburgtheaters bringt uns jetzt statt des Gutzkowschen „Uriel Acosta“ sein „Urbild des Tartüffe“. Das Publicum hat alle Ursache, mit diesem Tausch zufrieden zu sein. […] Ich kann mir die umständliche Reproduction des Stücks ersparen, da es längst gedruckt vorliegt. Aber ich muß der hohen Rundung und Geschlossenheit desselben in Erfindung und Ausführung meine Hochachtung bezeugen. Gerade diese Eigenschaften waren es, die ich gewöhnlich in Gutzkows Productionen vermißte …
Karl August Varnhagen von Ense, 1851
[Die] „Ritter vom Geiste“ fangen endlich an, im Publikum durchzudringen; in England oder Frankreich würde dem Verfasser nicht nur die Fülle litterarischen Ruhmes eintragen, sondern auch das weltliche Gedeihen weithinaus sicherstellen. Ein deutscher Autor hat alle Gebrechen seiner Nation zu tragen.
Emma Niendorf, 1852
Gutzkow hat so eben seine „Ritter vom Geist“ beendet, den neunten Band. Man trifft das Buch von Berlin bis Wien auf allen Tischen, im Boudoir wie in der Gelehrtenstube, in großen wie in kleinen Händen. Mit einer Art von Raserei wird es z.B. in Leipzig gelesen, im Salon wie im Comptoir, durch alle Stände.
Theodor Storm, 1852
Was ich Dir nun vor allem sagen wollte - ich habe die „Ritter vom Geiste“ jetzt zu Ende gelesen und bin jetzt von bewundernder Hochachtung und Sympathie für den Verfasser ganz erfüllt. Jeder ernste, wahrhaftige und gebildete Mensch muß diesem Buche in seinem Hauptinhalte beistimmen. Es ist wirklich eine Tat, dies Buch, wie sie diese Zeit verlangte.
„Neue Preußische [Kreuz-] Zeitung“, (Berlin), 1852
Die Tendenz des Buches ist also: die Leser zu Rittern vom Geiste zu machen, d.h. zu solchen Ideologen, welche bei den Fiascos der liberalen Principien nichts lernen und nichts vergessen, sondern trotz alledem und alledem in den ausgetretenen Schuhen der Montesquieu, der Lafayette, der Lamartine daherwatscheln.
Julian Schmidt und Gustav Freytag, 1852
Er hat in seinem Leben viel Schlechtes in unserer Literatur gethan; er hat durch sein dreistes Hereinsprechen in Literatur, Kunst, Politik, ohne ordentliche Vorbildung und ohne solide Kenntnisse, das Urtheil der jüngeren Generation oft mißgeleitet und verwirrt; er hat einst durch sein schamloses System des journalistischen Lobhudelns und der Kameraderie viel dazu beigetragen, Ehrlichkeit und Unbefangenheit des Urtheils in der Tagespresse zu unterdrücken; er hat durch ein serviles Anhängen an viele schlechte Auswüchse den Tendenzen einer Zeit irrige und schädliche Ansichten und krankhafte Gelüste in dem deutschen Leben erwecken und befördern helfen […]. Das sind sehr unglückliche Eigenschaften einer literarischen Größe, und ein solcher Mann hätte verdient, bis zur Vernichtung verfolgt zu werden.
Bettina von Arnim, 1852
Gutzkow, der so sehr gegen Schleiermacher geschrieben, ja sogar seine Lucindischen Briefe wieder hervorgeholt hatte, um ihn zu demütigen, kam auf seiner Durchreise [1837] zu mir. Ich nahm ihn an - obgleich ich im Schlafrock war -, damit er nicht dächte, ich wollte ihn abweisen. Das sagte ich ihm und er freute sich: „daß ich nicht so beharrlich wie seine übrigen Gegner in meinem Haß gegen ihn sei“. Ich hielt ihm sein Unrecht so vor, daß er ganz erschüttert war, und sagte ihm, daß Schleiermacher allerdings die Briefe geschrieben, daß er aber darauf erst der edle, vortreffliche Mensch geworden sei, als den ich ihn gekannt, und daß er selbst (Gutzkow) wissen müsse, daß das Urteil der Menge und das Sichtbare nicht immer den eigentlichen Wert begründe. Er schied gerührt und erfreut von mir und seine nachherigen Schriften haben mir bewiesen, daß ich nicht erfolglos gesprochen.
Robert Prutz, 1859
Karl Gutzkow ist der wahre Proteus unserer modernen Literatur […], nicht nur einer der fruchtbarsten, er ist auch einer der zähesten und ausdauerndsten Schriftsteller, welche unsere Literatur irgend aufzuweisen hat. Diese Zähigkeit bildet sogar einen Hauptzug in seinem literarischen Charakter. Gutzkow ist keiner von den ursprünglichen Geistern, welche ihr Ziel gleichsam im Fluge erreichen: vielmehr zeigt er sich auch darin als ein echter Sohn seiner Zeit, daß seine Bildung eine ungemein zusammengesetzte, daß er mehr mit dem Kopf als mit dem Herzen, mehr mit dem wohlgeschulten Talent als mit dem angeborenen Genie arbeitet. Als rüstiges, arbeitsames Talent ist Gutzkow überaus respectabel, ja er kann in dieser Hinsicht allen Schriftstellern seiner Zeit zum Muster dienen, wie er ja auch von allen wenn auch nicht die frischesten und duftigsten, doch jedenfalls die meisten Lorbern geerntet hat. Gutzkow gehört zu den Naturen, die, wie das Sprichwort sagt, nicht todt zu kriegen sind …
Julian Schmidt, Gustav Freytag über den „Zauberer von Rom“, 1859
Nun kommen wir aber auf einen ernsteren Punkt. Gutzkow hat es gewagt, seinen Roman dem deutschen Volke zu widmen: er soll „beitragen helfen, die vaterländische Einheit zu fördern.“ […] Wie nun die beiden Helden Lucinde und Klingsohr beschaffen sind, haben wir gesehen; die anderen Personen sind entweder Narren und Schurken oder ganz unbedeutend, nicht ein einziger Charakter, der uns mit dem Leben und diesen Zuständen versöhnt. Überall eine wüste Unordnung, ein Gemisch von unreifem Hochmuth und Verschrobenheit. Wir glauben, es kann dem deutschen Volk nicht gleichgiltig sein, so geschildert zu werden, um so weniger, da die Schilderungen nicht wahr sind, ja es würde eine nicht geringe Kunst dazu gehören, in Deutschland eine solche Fülle von Zerrbildern aufzutreiben, als dieser Roman sie aufweist.
„Augsburger Postzeitung“ über den „Zauberer von Rom“, 1859
Hoffentlich wird kein Katholik, der etwas auf sich und seinen Glauben hält, für dieses Schandwerk auch nur einen Kreuzer Geld ausgeben oder ausgegeben haben.
Die „Allgemeine Zeitung“ (Augsburg), 1870
Außerhalb der engeren Literaturkreise, der kleinen Zahl von Literaturfreunden, welche das Erscheinen eines neuen Buches eines geliebten Verfassers wie ein beglückendes persönliches Ereignis aufzufassen vermögen, wird der Entwicklungsgang eines schöpferischen Geistes nicht mit jenem Interesse und jener Ausdauer verfolgt, wie sie den Commentatoren classischer Literatur-Namen und den Sammlern literarischer Nachlässe und Nachlesen eigen ist. Wir wollen damit nur andeuten, daß auch das literarische Wirken Gutzkows seinen Höhepunkt bereits überschritten, daß die durchschlagenden Erfolge seiner Dramen, seiner „Ritter vom Geist“, seines „Zauberers von Rom“, durch den unaufhaltsamen Gang der politischen und socialen Strömungen in dem Gedächtnisse vieler Zeitgenossen verwischt wurden, und daß es seiner Zeit eines anderen Düntzer bedürfen wird um jene Schöpfungen gleichsam wieder mit frischen Tinten aufleben zu lassen.
Friedrich Nietzsche, 1872
Erst durch eine solche Zucht bekommt der junge Mensch jenen physischen Ekel vor der so beliebten und so gepriesenen ‘Eleganz’ des Stils unserer Zeitungsfabrik-Arbeiter und Romanschreiber, vor der ‘gewählten Diktion’ unserer Literaten, und ist mit einem Schlage und endgültig über eine ganze Reihe von recht komischen Fragen und Skrupeln hinausgehoben, zum Beispiel ob Auerbach oder Gutzkow wirklich Dichter sind: man kann sie einfach vor Ekel nicht mehr lesen, damit ist die Frage entschieden.
„Die Gartenlaube“ (Leipzig), 1876
Ein Classiker der Gegenwart. […] Die Bedeutung Gutzkows in der deutschen Literatur und für das deutsche Volk ist durch den politischen Aufschwung unserer Nation nur gestiegen.
Johannes Scherr, 1876
Denn auch mir ist dieser Autor von lange her als sehr achtungswürdig erschienen und ich bin von Zeit zu Zeit immer wieder zur Lesung seiner Werke zurückgekehrt. Diese sind ihrer Makel und Mängel unerachtet ein höchst werthvoller nationalliterarischer Spiegel der Epoche. Ich meine die Zeit von 1830 bis heute. Alle Erscheinungen und Begegnisse derselben hat Gutzkows Autorschaft kenntnisreich und theilnahmevoll begleitet, ich möchte sagen wie der mitfühlende und mitredende Chor im griechischen Drama, aber zugleich als rastloser Vorkämpfer der Sache der Vernunft, der Freiheit und des Vaterlandes.
Karl Frenzel, 1878
Er war niemals der erste Dichter unserer Generation, er war immer ihr erster Schriftsteller. Seine Vielseitigkeit war so bewunderungswürdig wie sein Wissen. Auch diejenigen, die ihn im Leben am bittersten bekämpft, werden jetzt willig die Bedeutung seines Lebenswerkes anerkennen.
Berthold Auerbach, 1878
Nicht leicht hat ein Mensch mehr gestritten und gelitten mit sich und mit der Welt als er, und dem Ringenden und Kämpfenden gebührt doch die Ehre. Jetzt nach seinem Tode wird das Unleidliche und Unnatürliche abfallen, und Gutzkow tritt in die Reihe der wirkenden Geister deutscher Nation.
Ludmilla Assing, 1878
Auch mir hat sein Tod sehr leid getan! Ich erkenne seine Begabung, und ich stelle ihn weit über die Modeschriftsteller Auerbach, Heyse, Freytag usw., aber ich finde, daß er verbittert geboren worden ist, und darin unterscheidet er sich von vielen Anderen, die erst im Laufe ihres Schriftstellertums mit den Jahren verbittert worden sind.
Wilhelm Raabe, 1878
Kein Poet, aber ein großer Schriftsteller. Ein Mann, dem man immer mit Erstaunen zusah, wie er sich im Schweiße seines Angesichts durch den Quark und Mist der Zeit arbeitete. Ich bin überzeugt, im Geheimen kommt sich mancher der Lieblinge unseres Publikums selber recht klein [vor] gegen diesen ruhelosen, keuchenden, mit Allem, was ihm in die Hände fiel, bauenden Menschen!
Theodor Fontane, 1879
Er hätte Leitartikelschreiber werden müssen, oder Rath im Cultusminister [sic!], ein auf die liberale Seite gefallener Stiehl; aber vom Dichter, der er sein ganzes Leben lang hat sein wollen, hatte er gar nichts. Er hat die deutsche Nation dupiert; in anderen Ländern, die mehr natürlichen Sinn für die Künste haben und durch Bildungs-Drill weniger verdummt sind, hätte er 40 Jahre lang eine solche Rolle gar nicht spielen können. Er war ein Hochstelzler, was ein bißchen an Hochstapler erinnert und auch soll, denn alles ist Schein, falsch, unächt. Es ist ein wirkliches Verdienst Julian Schmidts auf die vollkommene Hohlheit dieser merkwürdigen Erscheinung in unsrer Literatur hingewiesen zu haben. Sein Name wird bleiben, aber von seinen Werken nichts …
Rudolf Gottschall, 1879
Aber stand der Antheil, den die Nation ihm schenkte, entfernt in dem rechten Verhältnis zu seinem Verdienst? Keineswegs! Wir leben in einer Zeit der literarischen Moden; Gutzkow ist nie Mode gewesen, wie die kleinen artigen Talente, die man jetzt zu Classikern aufzubauschen sucht; immer rüstig voran, im Kampfgewühle der Literatur, immer den alten Schlendrian, den Rückfall in die Romantik, die geistlose Lyrik der Miniaturpoeten, die akademischen Studien der Formtalente ohne jede Tiefe und Eigenart der Weltanschauung, den ästhetischen Schwulst der Krafttitanen bekämpfend, hat er mit seinen Kritiken eine Drachensaat ausgestreut, aus der ihm geharnischte Gegner erwuchsen.
Hieronymus Lorm, 1879
Gutzkow war eben noch einer von den auf den Aussterbe-Etat gesetzten Schriftstellern, denen die Interessen der Dichtkunst und Literatur theurer als die glänzendsten Vortheile des unmittelbaren Lebens, ja die wahren Lebens-Interessen selbst sind, während in unserer überall als mercantilisch sich charakterisierenden Zeit umgekehrt der Hang nach gemeinen sinnlichen Lebensgenüssen mit dem erheuchelten Eifer für rein geistige Interessen Geschäfte macht. Der Eifer verräth seine Unwahrheit, seine unsaubere Abkunft in der Oberflächlichkeit, mit der Bücher gelesen, in der Frivolität, mit der sie recensirt werden. Es giebt keinen größeren Unterschied als zwischen Gutzkow und der literarisch-kritischen Celebritäten des Tages; jener fand seinen Schwerpunkt am Büchertisch, diese finden ihn an der guten Tafel. Nachklänge
„Allgemeine Zeitung“, 1887, Enthüllung des Gutzkow-Denkmals in Dresden
Nachdem die Hülle vom Denkmal gefallen war und der Redner die Vertreter der Stadt gebeten hatte, dasselbe in den Schutz Dresdens zu nehmen, erklärte der Oberbürgermeister Dr. Stübel „freudig bewegt“ die Übernahme des Monuments in städtische Obhut, dankte dem Schriftstellerverband und allen denen, welche für dessen Ausführung thätig gewesen, und sprach den Wunsch aus, „daß unser Dresden für alle Zeiten den Ruhm sich erhalten möge, den hier Lebenden nicht nur mannichfache Annehmlichkeiten zu bieten, sondern auch ein so fruchtbarer Boden für jede höhere geistige Bestrebung zu sein, wie dieß die Stadt für die schöpferische Kraft eines Gutzkow gewesen.“
Heinrich Mann, Dresden, 1891
Ich genoß Deinen Brief und mein so unerwartet köstliches Frühstück, rauchte meine Russische zur „Gesellschaft“ und komme eben von einem kurzen Ausgang. Wie allsonntäglich brachte ich Gutzkow meinen Morgengruß. Der ist nämlich der einzige vernünftige Mensch, den ich in Dresden kenne. Und der ist von Stein. Dabei fielen mir wieder Zarathustras Abschiedsworte ein: Diese neue Tafel stelle ich über euch, meine Brüder: Werdet hart!
Julius Hart, 1899
Will man eine Persönlichkeit bezeichnen, in der sich der neue Geist dieser Neunzehnten-Jahrhunderts-Dichtung zum erstenmale rein und deutlich und klar bewusst offenbart, so muss man ehestens Karl Gutzkow nennen. Seine poetischen Schöpfungen finden allerdings schon heute keinen rechten Anklang mehr und nur wenige von ihnen sind in lebendiger Erinnerung geblieben. In nicht allzu ferner Zeit werden sie wohl wesentlich nur noch ein Gegenstand des gelehrten, litterargeschichtlichen Studiums sein. Aber die Persönlichkeit Karl Gutzkows selber wird trotz alledem immer einen Markstein in der Kulturbewegung dieses Jahrhunderts bilden, und seine Gestalt kann nicht wie seine Einzelwerke vergessen werden. Er ist in Deutschland der erste Bahnbrecher einer neuen rein realistischen Kunst, die den klassischen und romantischen Idealen gegenüber das „Princip der Moderne“ aufstellt und alle Vergangenheitsschwärmerei mit der Bewunderung des Gegenwärtigen beantwortet.
Heinrich Hubert Houben, 1901
In der Litteraturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts klafft eine große Lücke. Sie wartet darauf, ausgefüllt zu werden durch eine Biographie K a r l G u t z k o w s. […] G u t z k o w s W e r k e s i n d e i n T a g e b u c h d e r G e s c h i c h t e s e i n e r Z e i t. Es giebt kaum eine Frage, der er nicht nahe getreten ist, kaum eine litterarische Persönlichkeit von einiger Bedeutung, zu der er keine Beziehung hatte, sei es persönliche, briefliche oder kritische. Gutzkows Biographie läßt sich daher nicht schreiben, ohne eine übersichtliche Kenntnis aller geistigen Strömungen seines Jahrhunderts […]. Man ist versucht, eine Teilung dieser Arbeit unter die Spezialforscher vorzuschlagen.
Franz Muncker, 1908
Am 16. Dezember 1908 werden dreißig Jahre seit Gutzkows Tode vergangen sein. Seine Werke sind also von diesem Tage an nicht mehr durch das Urheberrecht geschützt, sie werden „f r e i“ und können ohne weiteres nachgedruckt werden. Wird nun in ihnen der Dichter von den Toten auferstehen, wird er vielleicht, wie es Hebbel vom gleichen Zeitpunkt an beschieden war, erst recht lebendig werden? Das ist schwerlich zu hoffen. […] Zu ihnen, deren voller Ruhm und Erfolg meistens ihr Leben nur wenig überdauert, gehört Gutzkow. Darum sollte er aber doch nicht allzu schnell undankbarer Vergessenheit anheim fallen. Was er in unserer Literatur anregte und ins Leben rief, sichert ihm einen hervorragenden Platz in ihrer Geschichte; aber auch unmittelbar den heutigen Lesern könnte manches in seinen Dichtungen noch die lebhafteste Teilnahme abgewinnen, hohen geistig-künstlerischen Genuß bereiten.
Franz Mehring, 1911
An der Stellung, die Gutzkow von 1830 bis 1860 in der deutschen Geschichte eingenommen hat, kann niemand vorübergehen, der diese Geschichte von Grund aus verstehen will. Unter den literarischen Größen der Gegenwart […] ist keiner, der sich darin nur entfernt mit Gutzkow vergleichen ließe. Jedoch eben die Tatsache, daß er ein Stück deutscher Geschichte in sich verkörpert, ist auch der Grund, weshalb die sonst so schnellfertigen Federn der patriotischen Zeitungen sich zu seinem hundertsten Geburtstag kaum gerührt haben, es sei denn mit diesem oder jenem kleinlichen Anekdotenkram. Denn mit einigen Schlagworten ist der Mann freilich nicht abgetan. Man hat wohl eine geheime Empfindung, daß jenes Bild, das namentlich die Scherersche Schule von Gutzkow entworfen hat, als von einem unfähigen Cliquendespoten, der in gehässigem Neide alle schöpferischen Größen der Literatur zu unterdrücken gesucht habe, ein Zerrbild ist, allein diesem Zerrbild das wirkliche Bild Gutzkows entgegenzustellen, das ist eine Sache, die allzu viel Anstrengung kosten und allzu wenig Dank ernten würde. Wenn wir nun versuchen, das Versäumte nachzuholen, so sicherlich nicht deshalb, weil Gutzkow unser Mann wäre. […] So gilt uns nur eine Pflicht der historischen Gerechtigkeit zu erfüllen, indem wir mit einigen raschen Strichen nachweisen, daß Gutzkow nicht an einer hochmütigen, scheelsüchtigen und unfähigen Diktatur umgekommen ist, sondern weil er eine innerlichst bescheidene und ehrliche, sich nicht überhebende, sondern eher sich selbst mißtrauende, allem Cliquenwesen abholde Natur war, ein Mann, der nicht als entthronter Diktator einsam gestorben ist, sondern im Grunde auch einsam gelebt hat, schon weil er mit seinem reichen Wissen und seiner vielseitigen Empfänglichkeit den bürgerlichen Literaturliteraten immer um einige Meilen voraus war.
Ferdinand Hardekopf, 1920
Ein Moderner. […] Diese Zeilen wollten hinweisen auf die fast abenteuerliche Antizipation, die einem kurz nach Goethes Tode geschriebenen Buche ein Parfüm verlieh, als sei es mit allen Giften der Moderne getränkt. Gutzkow […] war ein Vorläufer, dessen Anregungen durch unkontrollierte Filtration bis zu den Jüngsten gedrungen sind. Die stilistische Linie, die Goethe mit dem Kurt Wolff-Verlag verbindet, führt über den Autor der Zweiflerin Wally.
Jakob Wassermann, 1921
Er [Wassermanns Vater] liebte Schiller und sprach mit Hochachtung von Gutzkow. Auf einer seiner Reisen hatte er in einem thüringischen Badeort zusammen mit Gutzkow an der Gästetafel gespeist; er erzählte oft mit Stolz davon, und in späteren Jahren, als meine Kämpfe um den Schriftstellerberuf ihn erbitterten, sagte er mir einmal, um vermessene Ambitionen zurückzuweisen, als deren Beute er mich sah: „Was bildest du dir ein? Einen Gutzkow kannst du nie erreichen!“
Fritz Mauthner, 1925
So mag die Dichtung Karl Gutzkow niedrig bewerten – ich glaube, daß er unterschätzt wird –, er bleibt dennoch gerade für die Zeit nach der Julirevolution der zielbewußteste, tapferste und geistig beweglichste Wortführer der Freiheiten, die man damals Emanziationen nannte; er kämpfte mit seiner Feder für die Emanzipation der Frau und des Fleisches, des Bürgertums und der Juden, nicht zuletzt für eine Emanzipation von Gott.
Karl Vietor, 1928
Es ist Glück und Lust des Dichtertypus, der seiner Zeit allein dienen will und nicht die ewige Klarheit suchen darf, wenn die Zeitgenossen ihn als Führer in den gegenwärtigen Kämpfen und als Arzt der aktuellen Leiden wollen und lieben. Dies allein kann ihn entschädigen für das Schicksal, ein Zeitgenosse zu sein. Gutzkow hat dies Glück nicht auskosten können; gewiß, seine Werke haben gewirkt, manche sogar haben Sensation gemacht. Aber die Mitwelt schon hat sie rasch verbraucht, die Nachwelt hat sie vergessen. Diese Werke waren nicht stark genug, die zugehörige Epoche wirklich mitzuprägen; sie sind nicht dichterisch genug, daß sie die Zeit hätten überdauern können, zu der sie gehören.
Arthur Eloesser, 1931
Die Nachwelt hat ihn nicht anders behandelt als die Mitwelt; seine dichterischen Leistungen sind unterschätzt, vor allem aber die Verdienste eines Anregers, eines überaus empfindsamen, durchlässigen Mediums, durch das alle Tendenzen der Zeit, gerade die fortführenden, zukunftsreichen hindurchgegangen sind. In diesem kaleidoskopischen Gehirn fehlte kaum eine von ihren Farben.
Victor Klemperer, Dresden, 1947
Am Georgplatz stand eine Gutzkow-Statuette in der Grünanlage, jetzt ist nur noch der Sockel in dem zerfurchten Erdstreifen vorhanden; zu dieser Büste hatte ich ein besonderes Freundschaftsverhältnis. Wer kennt heute noch die „Ritter vom Geist“? Ich habe zu meiner Doktordissertation alle neun Bände mit Vergnügen gelesen, und viel früher einmal hat mir die Mutter erzählt, wie sie als junges Mädchen den Roman als modernste und eigentlich verbotene Lektüre in sich hineingeschlungen habe. Aber nicht an die „Ritter vom Geist“ denke ich zuerst, wenn ich die Gutzkowbüste passiere. Sondern an den „Uriel Akosta“, den ich als Sechzehnjähriger bei Kroll sah. Er war damals schon fast ganz aus dem regulären Spielplan verschwunden, und für jeden Kritiker war es durchaus Pflicht, das Stück schlecht zu finden und einzig auf seine Schwächen hinzuweisen. Mich aber erschütterte es, und ein Satz daraus hat mich durchs Leben begleitet. Ein paarmal beim Zusammenstoß mit irgendwelch antisemitischen Regungen glaubte ich ihn besonders lebhaft nachempfinden zu können, aber wirklich in mein Leben eingegangen ist er erst an jenem 19. September [seit dem 19.09.1941 mußte der Judenstern getragen werden]. Er lautet: „Ins Allgemeine möcht’ ich gerne tauchen und mit dem großen Strom des Lebens gehn!“ Gewiß, vom Allgemeinen abgeschnitten war ich schon seit 1933, und auch ganz Deutschland war seitdem davon abgeschnitten; aber trotzdem: sobald ich die Wohnung hinter mir hatte und die Straße, in der man mich kannte, war es doch ein Untertauchen im großen allgemeinen Strom, ein angstvolles zwar, denn in jedem Augenblick konnte mich ja ein Böswilliger erkennen und belästigen, doch immerhin ein Untertauchen; nun aber war ich in jedem Augenblick für jeden kenntlich und durch die Kennzeichnung isoliert und vogelfrei …
Walter Höllerer, 1958
Diese Dimension seines Schreibens, das Antwortgeben auf Zeitfragen, war seine Domäne. Damit wirkte er auf junge Dichter, auf den Verlauf der Literaturgeschichte, auf den direkt vorgehenden gesellschaftskritischen Roman. Darin liegt seine Bedeutung. Ein bezeichnendes Lächeln schiebt Gutzkow dem Baruch Spinoza zu, den er, als Knaben, im „Uriel Acosta“ auftreten läßt. In diesem Lächeln liegt das Bewußtsein einer Überlegenheit, ein „Der-Zeit-voraus-Sein“ ebenso wie die Überzeugung vom Prophetenamt (die bei Gutzkow nicht immer mit dem notwendigen poetischen Rüstzeug ausstaffiert war): „Antworten glaub’ ich, (lächelnd) hab’ ich prächtige, / Nur fehlen mir die Fragen noch dazu.“
Arno Schmidt, 1965
- Und nun : wie heißt die ‹eigentlich Leistung› : das ‹Bleibende›?Das Leben verloren - : 2 Bücher gewonnen! ‹DIE RITTER VOM GEISTE›. Und den ‹ZAUBERER VON ROM›.
Walter Boehlich, 1969
So sehr der Sozialismus als bürgerliche Theorie Gutzkow halb anzog, halb abstieß, so wenig mochte er mit dem Kommunismus als proletarischer Parteibewegung anfangen. Die ›Masse‹ stieß ihn ab, der Sohn des königlichen Bereiters glaubte sich von ihr emanzipiert, war es auch. Er war weiter als die meisten seiner Zeitgenossen, wie er denn überhaupt keine schlechte Figur macht und des Interesses werter ist als so vieles, was als Bildungsgut die letzten hundert Jahre überdauert hat […].
Arno Schmidt, Zettels Traum, 1970
Oh entschuldije Fränzel – (denn Sie schaute doch so niedergeschlagn & armselich drein -) :“- also=höre : Wir,(Paul & Ich), arbeitetn damals grade GUTZKOW’s ‘Ritter vom Geist’ durch - (ein Riesnbuch von 3.ooo Seitn) - & darin erscheint ein, wirklich gut=liebevoll gezeichnetes Näher=Mädchen, ‘Franziska Heunisch’; fleißich=tapfer, schwermütich=lustich, usw=usw : kurzum, genau wie sich’s im Lebm gehört : nach Dér heißDu.“ (Du wirsD’s nich kenn’n.) / (Doch): „Dòch –“ (gab sie zurück) : „der Titl iss Mir irgndwie=geläufich …
Peter Demetz, 1974
Er war kein Theoretiker, aber seine Gedanken über Themen und Formen des Romans, die sich eng mit seinem demokratischen Protest gegen das Ausschließlichkeitsprinzip Hegels verbinden, schärfen unsere kritische Einsicht in Fragen der Gattungstheorie, und seine Begriffe vom ›Roman des Nebeneinander‹ antizipieren moderne Fragen der epischen Gleichzeitigkeit, des Erzählers in der Epoche der Massen und der Städte, der gesellschaftlichen Roman-Totalität. […] In der Epoche zwischen Lessing und Fontane haben wir, auf Seiten der Liberalität, wenig Schriftsteller wie ihn.
Rolf Vollmann, 1997
Aber Gutzkow ist eben auch, gerade in diesen großen Werken (aber denken Sie auch an ein Buch wie die „Seraphine“ mit ihren Experimenten!), so ungeheuer viel besser als sein Ruf, daß man, wenn man das richtig ins Auge gefaßt hat, das Jahrhundert gar nicht mehr richtig wiedererkennt, wie es einem ohne einen solchen Romancier bisher immer im Kopf gesessen hat.